Архитектура Аудит Военная наука Иностранные языки Медицина Металлургия Метрология
Образование Политология Производство Психология Стандартизация Технологии


Das Ringen mit der roten Front



Ich habe 1919/20 und auch 1921 persönlich sogenannte bürgerliche Versammlungen besucht. Sie übten auf mich immer denselben Eindruck aus wie in meiner Jugend der befohlene Löffel Lebertran. Man soll ihn nehmen, und er soll sehr gut sein, aber er schmeckt scheußlich! Würde man das deutsche Volk mit Stricken zusammenbinden und es mit Gewalt in diese bürgerlichen "Kundgebungen" hineinziehen und bis nach Schluß jeder Vorstellung die Türen absperren und keinen herauslassen, so könnte das vielleicht in einigen Jahrhunderten auch zum Erfolge führen. Allerdings muß ich offen gestehen, daß mich dann wahrscheinlich das Leben nicht mehr freuen würde und ich dann lieber auch gar kein Deutscher mehr sein wollte. Nachdem man aber das, Gott sei Lob und Dank, nicht kann, soll man sich nur nicht wundern, wenn das gesunde und unverdorbene Volk "bürgerliche Massenversammlungen" meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Ich habe sie kennengelernt, diese Propheten einer bürgerlichen Weltanschauung und wundere mich wirklich nicht, sondern verstehe, warum sie dem gesprochenen Wort keinerlei Bedeutung beimessen. Ich besuchte damals Versammlungen der Demokraten, der Deutschnationalen, der Deutsch-Volksparteiler und auch der Bayerischen Volksparteiler (bayer. Zentrum). Was einem dabei sofort auffiel, war die homogene Geschlossenheit der Zuhörer. Es waren fast immer nur Parteiangehörige, die an einer solchen Kundgebung teilnahmen. Das Ganze, ohne jede Disziplin, glich mehr einem gähnenden Kartenspielklub als einer Versammlung des Volkes, das soeben seine größte Revolution durchgemacht.

539 Bürgerliche "Massenversammlungen"

Um diese friedliche Stimmung zu erhalten, geschah denn auch von seiten der Referenten alles, was nur geschehen konnte. Sie redeten, oder besser, sie lasen meist Reden vor, im Stil eines geistreichen Zeitungsartikels oder einer wissenschaftlichen Abhandlung, mieden alle Kraftwörter und brachten hie und da einen schwächlichen professoralen Witz dazwischen, bei dem der ehrenwerte Vorstandstisch pflichtgemäß zu lachen begann; wenn auch nicht laut, also aufreizend zu lachen, so doch vornehm gedämpft und zurückhaltend.

Und überhaupt schon dieser Vorstandstisch!

Ich sah einmal eine Versammlung im Wagnersaal zu München; es war eine Kundgebung anläßlich der Wiederkehr des Tages der Völkerschlacht bei Leipzig. Die Rede hielt oder las ein würdiger alter Herr, Professor an irgendeiner Universität. Auf dem Podium saß der Vorstand. Links ein Monokel, rechts ein Monokel und zwischendrin einer ohne Monokel. Alle drei im Gehrock, so daß man den Eindruck erhielt entweder eines Gerichtshofes, der soeben eine Hinrichtung vorhat, oder einer feierlichen Kindstaufe, jedenfalls also eines mehr religiösen Weiheaktes. Die sogenannte Rede, die sich gedruckt vielleicht ganz schön ausgenommen hätte, war in ihrer Wirkung einfach fürchterlich. Schon nach dreiviertel Stunden döste die ganze Versammlung in einem Trancezustand dahin, der nur unterbrochen wurde von dem Hinausgehen einzelner Männlein und Weiblein, dem Geklapper der Kellnerinnen und dem Gähnen immer zahlreicherer Zuhörer. Drei Arbeite, die, sei es aus Neugierde oder als beauftragte Posten in der Versammlung anwesend waren, und hinter denen ich mich postierte, blickten sich von Zeit zu Zeit mit schlecht verhehltem Grinsen an und stießen sich endlich gegenseitig mit dem Ellbogen, worauf sie ganz leise den Saal verließen. Man sah es ihnen an, daß sie um keinen Preis stören wollten. Es war dies bei dieser Gesellschaft auch wirklich nicht notwendig. Endlich schien sich die Versammlung dem Ende zuzuneigen. Nachdem der Professor, dessen Stimme unterdessen immer leiser und leiser geworden war, seinen vortrag beschlossen hatte, erhob sich der zwischen den beiden Monokelträgern

540 Bürgerliche "Massenversammlungen"

sitzende Versammlungsleiter und schmetterte die anwesenden "deutschen Schwestern" und "Brüder" an, wie groß sein Dankgefühl sei und ihre Empfindung in dieser Richtung sein müsse für den einzigartigen und herrlichen Vortrag, denn ihnen Herr Professor X. in ebenso genußreicher wie gründlicher und tiefschürfender Art hier gegeben habe, und der im wahrsten Sinne des Wortes ein "inneres Erleben", ja eine "Tat" gewesen sei. Es würde eine Profanierung dieser weihevollen Stunde bedeuten, wollte man an diese lichten Ausführungen noch eine Diskussion anfügen, so daß er deshalb im Sinne aller Anwesenden von einer solchen Aussprache absehe und statt dessen alle ersuche, sich von den Sitzen zu erheben, um einzustimmen in den Ruf "Wir sind ein einig Volk von Brüdern" usw. Endlich forderte er als Abschluß zum Gesange des Deutschlandliedes auf.

Und dann sangen sie, und mir kam es vor, als ob schon bei der zweiten Strophe die Stimmen etwas weniger würden und nur beim Refrain wieder mächtig anschwollen, und bei der dritten verstärkte sich diese Empfindung, so daß ich glaubte, daß nicht alle ganz sicher im Text gewesen sein mögen.

Allein was tut dies zur Sache, wenn ein solches Lied in voller Inbrunst aus dem Herzen einer deutschnationalen Seele zum Himmel tönt.

Daraufhin verlor sich die Versammlung, d.h. es eilte jeder, daß er schnell hinauskam, die einen zum Bier, die anderen in ein Café und wieder andere in die frische Luft.

Jawohl, hinaus in die frische Luft, nur hinaus! Das war auch meine einzige Empfindung. Und das soll zur Verherrlichung eines heldenmütigen Ringens von Hunderttausenden von Preußen und Deutschen dienen? Pfui Teufel und wieder Pfui Teufel!

So etwas mag die Regierung freilich lieben. Das ist natürlich eine "friedliche" Versammlung. Da braucht der Minister für Ruhe und Ordnung wirklich keine Angst zu haben, daß die Wogen der Begeisterung plötzlich das behördliche Maß bürgerlicher Anständigkeit sprengen könnten; daß plötzlich im Rausche der Begeisterung die Menschen aus


Поделиться:



Последнее изменение этой страницы: 2019-05-08; Просмотров: 250; Нарушение авторского права страницы


lektsia.com 2007 - 2024 год. Все материалы представленные на сайте исключительно с целью ознакомления читателями и не преследуют коммерческих целей или нарушение авторских прав! (0.013 с.)
Главная | Случайная страница | Обратная связь