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Edvard Munch zu Gast in der Villa Esche



»Er ist ein biß chen komisch, phantastisch, aber ein guter Junge.«

Henry van de Velde

Der norwegische Maler und Graphiker Edvard Munch (1863-1944) war im September und Oktober 1905 Gast Herbert Esches in Chemnitz. Sein Werk war zu dieser Zeit in Deutschland bei den Sammlern, die sich fü r zeitgenö ssische avantgardistische Kunst interessierten, auß erordentlich populä r. 1905 zeigte der Kunstsalon Cassirer in Berlin eine Porträ tausstellung von ihm, und der Kunstverein Manes in Prag stellte 75 seiner Gemä lde vor, darunter die ursprü ngliche Version des »Lebensfries«. Mö glicherweise hatte Herbert Esche den »Lebensfries« schon 1903 in Leipzig in der Galerie P. F. Beyer und Sohn gesehen. Bei einem heftigen Streit Munchs mit Ludvig Karsten war es 1905 zu Handgreiflichkeiten gekommen. Der Text »Die Stadt der freien Liebe« entstand im selben Jahr. Bis 1909 mied Munch Norwegen und hielt sich fast ausschließ lich in Deutschland auf.

Herbert Esches Kontakt zu Munch vermittelte der Lü becker Augenarzt Dr. Max Linde, den das Ehepaar Esche besucht hatte, um seine Sammlung mit Bildern und Graphiken Munchs kennenzulernen. Linde hatte 1902 ein Buch ü ber »Edvard Munch und die Kunst der Zukunft« verö ffentlicht.

Der Aufenthalt Munchs in Chemnitz ist inzwischen schon Legende geworden. Es gibt darü ber verschiedene Versionen.

Eine davon erzä hlte mir in den sechziger Jahren die Schwä gerin Herbert Esches, Gertrud Esche. Die ausfü hrlichste Schilderung seines Aufenthaltes in Chemnitz stammt aus der Feder des Malers Ivo Hauptmann (1886-1973), der mit der Familie Esche befreundet und in Erdmute Esche verliebt war: »Esche hatte die Absicht, seine Familie malen zu lassen und fragte van de Velde, wen er ihm dafü r vorschlü ge. Er nannte Edvard Munch, der in Lü beck die Kinder eines Herrn Linde gemalt hatte. Esche bat Munch zu kommen, erhielt jedoch keine Antwort. Eines Tages, man rechnete nicht mehr mit ihm, brachte der Postbote ein Telegramm: > Bin morgen in Chemnitz Munch<. Man war ü berrascht und wartete ab... Er erschien ohne Gepä ck mit einem wasserdichten Gummimantel ü ber einem alten Anzug. Kein Material, um malen zu kö nnen. Herr Esche hatte ihm in seinem schö nen Haus ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer zur Verfü gung gestellt. Auf dem Nachttisch stand eine Flasche Kognak zur Stä rkung fü r die Nacht, die jeden Morgen leer war. Munch war ein schö ner Mann, groß, blond, mit einem sehr starken Kinn, melancholischen, etwas blutunterlaufenen blauen Augen. Er bewegte sich langsam und sprach kein Wort. Familie Esche betrachtete den Fremdling bei den verschiedenen Mahlzeiten und machte sich Gedanken ü ber das merkwü rdige Verhalten des Kü nstlers.«

Frau Esche hatte ihre Kinder tä glich herausgeputzt, weil sie hoffte, daß diese Modell stehen sollten. Da zunä chst nichts in diese Richtung geschah, wandte man sich um Rat an Dr. Max Linde in Lü beck. Er riet: »Das beste ist, ihn machen zu lassen. Dann taut er langsam auf, und seine nordische Verschlossenheit schwindet. Dann stehen sie einer wunderbaren, vielschichtigen Person gegenü ber und lernen ihn schä tzen. Munch kann wochenlang umhergehen und beobachten, ohne den Pinsel auf die Leinwand zu setzen. > Ich male mit meinem Gehirne<, sagt er oft in seinem gebrochenen Deutsch. Er arbeitet lange, indem er die Eindrü cke nur in sich aufsaugt, um plö tzlich mit elementarer Kraft und Schwere schnell zu formen, was er gesehen hat. Dann werden seine Bilder in Tagen, ja in Stunden fertig.« Die Spontaneitä t, aus der Munch heraus arbeitete, ist den Bildern, die im Auftrag Esches entstanden sind, anzusehen. Die Kohlevorzeichnungen scheinen zum Teil durch. Der Knabe auf dem Kinderbildnis ist direkt, ohne Grundierung und Vorzeichnung auf die Leinwand gemalt. Es ist eine Photographie ü berliefert, die mit dem Gruppenbild fast identisch ist.

Kurz nach der Jahrhundertwende wurde das Kinderporträ t zu einem bevorzugten Genre Munchs. »Er malte Kinder, die zum Geschä ftsmann und zur Dame bestimmt sind. Der normierte Verhaltenskodex ist jedoch sichtbar angelernt, die Anstrengung, erwachsen zu wirken, ist beiden anzumerken...«

Ivo Hauptmann fä hrt in seinen Erinnerungen fort: »Drei Wochen vergingen, ohne daß irgendeine Ä nderung eingetreten wä re. Eines Tages war Munch weg. Einen Tag, zwei Tage, drei Tage. Esche wurde unruhig, setzte sich mit der Polizei in Verbindung... (man fand ihn im) Lokal > Der Wind<. Er hatte alle eingeladen, aber bisher nicht gezahlt. Die Schulden betrugen 100 Mark. Esche bezahlte den Betrag. Munch kam zurü ck, trank jede Nacht die Flasche Kognak, kam zum Frü hstü ck, Mittag-, Abendessen, sprach kein Wort. So vergingen weitere drei Wochen, ohne daß irgendeine Anstalt getroffen wurde, ein Porträ t zu malen... Jetzt erkundigte sich Munch, in welchem Geschä ft in Chemnitz man Leinwand in verschiedenen Grö ß en... Farben, Pinsel, Terpentin und eine Staffelei kaufen kö nnte. Er kaufte ein und dann ging es los. Er malte Frau Esche, den Mann, die beiden Kinder zusammen, die beiden Kinder einzeln, so daß in acht Tagen fü nf oder sechs Bilder entstanden, einige meisterhaft. Esche war zufrieden. Er zahlte ihm 3.000 Mark und Munch siedelte nach Weimar ü ber...«

Im Gegensatz zu den Erinnerungen Ivo Hauptmanns ist belegt, daß Esche mit den Arbeiten Munchs nicht zufrieden war. Auf seinen Protest hin antwortete ihm Munch, er habe die Technik bei Vincent van Gogh gelernt. Dazu bemerkte Herbert Esche, der selbst das Bild »Ernte in der Provence« von van Gogh besaß, daß dies seiner Auf­fassung nach nicht stimme, und beklagte sich darü ber hinaus ü ber die kaum trocknenden Farben. Herbert Esche war im Sinne der »Brü cke« selbst ein keinesfalls zu unterschä tzender dilettierender Maler. Es ist auch bekannt, daß er Gemä lde von Renoir, Signac und eine umfangreiche Sammlung an Graphik von Rudolf Grossmann besaß.

 

 

Die Brü cke

" Die Brü cke" wird 1905 in Dresden von vier Malern gegrü ndet: Heckel, Bleyl, Kirchner und Schmidt-Rottluff. Bleyl verlä ß t vier Jahre spä ter die Gruppe und gibt die Malerei auf.

Die Maler " der Brü cke" arbeiten gemeinsam in den Ateliers von Heckel und Kirchner. Sie schmü cken und gestalten diese Rä ume auf besondere Weise. Die Mö bel werden aus rohen, mit grellen Farben bemalten Holzkisten gemacht. Malereien in monumentalem Stil bedecken die Wä nde. Die erste Ausstellung der Gruppe findet in einer Fabrik fü r Beleuchtungskö rper statt. Sie organisieren eine Wanderausstellung, die in Leipzig; Hamburg und anderen deutschen Stä dten zu sehen ist. Die Mitglieder der Vereinigung trennen sich nicht einmal in den Sommermonaten. Sie verbringen diese Zeit in der Umgebung Dresdens und arbeiten unter freiem Himmel. Max Pechstein verlä ß t Dresden 1908 und richtet sich in Berlin, wo er ein breites Tä tigkeitsfeld zu finden hofft, ein Atelier ein. 1910 grü ndet er, als Reaktion auf die Ablehnung all seiner Bilder durch die Jury der " Berliner Sezession", die " Neue Sezession". An dieser Ausstellung nehmen seine Gefä hrten von der " Brü cke" teil. Etwas spä ter tritt die Gruppe gemeinsam in einer Dü sseldorfer Galerie vor die Ö ffentlichkeit, dann, 1912, in Berlin, Hamburg und Mü nchen, wo sie sich mit der Gruppe des " Blauen Reiters" zusammentut. Nach einer letzten gemeinsamen Ausstellung im Mü nchener " Neuen Kunstsalon" lö st sich die " Brü cke" auf: die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kirchner und seinen Gefä hrten sind zu groß geworden.

Geht es dem norddeutschen Expressionismus mit der Kü nstlergemeinschaft " Brü cke" um die Spontaneitä t des Ausdrucks innerer Empfindung, um die Vereinfachung der Formen und die Radikalisierung der Bildwelt zur Steigerung ihrer Aussagefä higkeit, so geht es dem sü ddeutschen Expressionismus in sehr viel stä rkerem Maß e zugleich auch um die theoretische Fundierung der bildnerischen Bestrebungen. Vor allem ist Wassily Kandinsky der fü hrende Theoretiker der Gruppe " Der Blaue Reiter".

 

Der Blaue Reiter

Die Kü nstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter" (so genannt nach einem Gemä lde Kandinskys) war die entwicklungsgeschichtlich bedeutsamste im Deutschland vor 1914. „Der Blaue Reiter" war in Mü nchen beheimatet, das um die Jahrhundertwende ein Hauptort des Jugendstils — also einer ihrer ganzen Tendenz nach ornamentalen Kunst — war.

1896 kam, um seine kü nstlerische Ausbildung zu absolvieren, Wassily Kandinsky hierher, etwa zur selben Zeit trafen Alexander von Jawlensky und Marianne Werefkin in Mü nchen ein, 1898 Alfred Kubin und Paul Klee. Seit 1900 studierte in Mü nchen Franz Marc. Die Kü nstler wuß ten damals noch nichts voneinander. Sie malten mü nchnerisch-akademisch, nahmen um 1904 Einflü sse Cezannes, Gauguins, van Goghs und vor allem der Neo-Impressionisten auf, deren Werke damals in deutschen Ausstellungen gezeigt wurden. Um 1906 tendierten Kandinsky und Jawlensky zur Flä chigkeit und Farbigkeit der Fauvisten. Die schö pferischen jungen Krä fte drä ngten zum Zusammenschluß; die 1892 unter Stuck, Trü bner und Uhde gegrü ndete Sezession bot den Vorwä rtsstrebenden keine Bewegungsfreiheit. Schon 1902 hatte Kandinsky den Vorsitz einer selbstä ndigen Vereinigung, der „Phalanx", ü bernommen. 1909 grü ndete er nun gemeinsam mit Erbslö h, Jawlensky, Kanoldt Kubin, Gabriele Munter, Marianne von Werefkin, Schnabel und Wittenstein die „Neue Kü nstlervereinigung"; die erste Ausstellung fand vom Dezember 1909 bis zum Januar 1910 in der Mü nchener Galerie Thannhauser statt. Dank der von ihrem Prä sidenten Kandinsky entwickelten Initiative zog die „Neue Kü nstlervereinigung" alsbald auch andere Kü nstler an, die mit den Konventionen gebrochen hatten: Bechtejeff, Erma Bossi, Kogan, Sacharoff (1909), Girieud, Le Fauconnier (1910), Franz Marc, Otto Fischer (1911) und Mogilewsky (1912). Zur Teilnahme an ihren Ausstellungen lud die „Neue Kü nstlervereinigung" ein: Picasso, Braque, Derain, Rouault, Vlaminck und van Dongen. Ein festumrissenes Programm gab es nicht. Um in der Mannigfaltigkeit der Bestrebungen die innere Einheit und die Bedeutung der Gemeinschaft zu zeigen, bereiteten Marc und Kandinsky im Juli 1909 einen Almanach vor, der unter dem Titel „Der Blaue Reiter" Aufsä tze ü ber ä sthetische und bildnerische Probleme vereint. Vor dem Erscheinen des Buches brachen jedoch wegen Juryfragen bei der dritten gemeinsamen Ausstellung Meinungsverschiedenheiten aus (Dezember 1911), die Kandinsky, Kubin, Marc und Gabriele Munter veranlaß ten, aus der Vereinigung auszutreten; am 18. Dezember 1911 erö ffneten sie in der Galerie Thannhauser eine eigene Ausstellung, der — wie dem Almanach — Kandinskys Bild den Namen lieh; zugleich wurde „Der Blaue Reiter" zum »Nom de guerre« der Gemeinschaft. Diese erste programmatische Ausstellung enthielt 43 Gemä lde von Henri Rousseau, Delaunay, Epstein, Kahler, Macke, Bloch, Schö nberg, David und Wladimir Burljuk, Bloe-Niestle, Gabriele Munter, Kandinsky, Marc und Campendonk. Eine zweite Ausstellung, die drei Monate danach in der Galerie Goltz stattfand, beschrä nkte sich auf Zeichnungen und Holzschnitte; indes war der Kreis durch Gä ste von der „Neuen Sezession" in Berlin und von der „Brü cke" erweitert. Als auslä ndische Weggenossen waren Braque, Derain, Picasso, La Fresnaye, Vlaminck, Lotiron, Vera und die Russen Larionov, Nathalie Gontcharova und Malevitch mit Arbeiten vertreten. 1912 schloß sich dem „Blauen Reiter" Paul Klee an, den insbesondere die Werke Kandinskys, Marcs und Delaunays beeindruckt hatten; von ihm wurde zunä chst eine Reihe poesievoller Aquarelle gezeigt. Gemeinsam mit dem auf ihren Wunsch hin eingeladenen Lyonel Feininger waren die „Blauen Reiter" 1913 Teilnehmer des „Ersten deutschen Herbstsalons" in Berlin. Die Gruppe war im besten Zuge, ihre Basis zu festigen und sich zu entfalten, als der Krieg ihr ein Ende bereitete. Kandinsky muß te — gleich den anderen Russen — Deutschland verlassen, Macke fiel 1914, Franz Marc 1916. Am „Bauhaus" in Weimar und Dessau begegneten Kandinsky, Klee und Feininger einander spä ter wieder. In der Malerei des „Bauhauses" wirkte die Idee des „Blauen Reiters" modifiziert fort.

Was fü r den „Blauen Reiter" wesentlich war, ist nicht in eine knappe Formel zu fassen. Der wichtigste Teil des gedanklichen Einstands wurde jedenfalls von Kandinsky beigetragen, der seine fundamentalen Ü berlegungen 1910 in seinem Buch „Ü ber das Geistige in der Kunst", das im Januar 1912 bei R. Piper in Mü nchen erschien und bis zum Ende des Jahres weitere zweimal aufgelegt werden muß te, mitgeteilt hat. Kandinsky untersuchte hier die Ausdrucks- und Kompositionswerte der Formen und Farben, wobei er sich zum Teil auf Erkenntnisse Goethes („Farbenlehre" ) berufen konnte; praktische Beispiele einer mehr oder weniger spontanen Anwendung der Farben im Sinne einer psychologischen und expressiven Wirkung lagen ihm vor in seinen eigenen frü heren Werken, in denen von Marc, den Fauves, einigen Expressionisten und den vielen anonymen Volkskü nstlern, auf die er nachdrü cklich hinwies. Seine in dem Buch „Ü ber das Geistige in der Kunst" und in dem Aufsatz „Ü ber die Formfrage" (im Almanach „Der Blaue Reiter" ) skizzenhaft dargelegte Psychologie der Farben und Formen hat Kandinsky spä ter in seiner Bauhaus-Schrift „Punkt und Linie zu Flä che" (1926) eingehend begrü ndet. Demnach haben die Bildelemente einen spezifischen Ausdrucksgehalt. Bei den reinen Farben und Formen kann er am eindeutigsten definiert werden. So wird etwa der Kreis als Element der Ruhe, das Dreieck als Ausdruck der Energie empfunden; die unendliche Zahl von Kombinationen und Variationen ermö glicht es jedem, sich sein individuelles bildnerisches Idiom zu erschaffen. Vollkommen neu war nun also, dass Kandinsky — auf Grund seiner Einsichten in die vom „Gegenstand" unabhä ngige Psychologische Wirkung der Bildelemente — die Autonomie der Farben und Formen forderte. Kandinsky hat damit um 1911 die theoretischen und praktischen Voraussetzungen der abstrakten Malerei geschaffen. Er selbst zog ü brigens den synonymen Begriff „absolute Malerei" vor. Die Lehren Kandinskys wurden durchaus nicht zur Doktrin des „Blauen Reiters" erhoben; indes hat wohl jeder auf seine Weise von ihnen gelernt. Im Katalog der ersten Ausstellung des „Blauen Reiters" wird ausdrü cklich festgestellt, man bezwecke nicht, „eine prä zise und spezielle Form zu propagieren", sondern „in der Verschiedenheit der vertretenen Formen zu zeigen, wie der innere Wunsch der Kü nstler sich mannigfaltig gestaltet". Aufbruchstimmung klingt denn auch aus dem programmatischen Almanach „Der Blaue Reiter" heraus. Das neue Gedankengut — sei es eigenes, sei es aus Paris und Berlin ü bernommen — ist in diesem Augenblick der Entwicklung noch nicht gefiltert; es schö pferisch anzuverwandeln, wird in den nä chsten Jahren eine Hauptaufgabe des individuellen und des gemeinsamen Arbeitens sein, ohne dass dadurch die Gü ltigkeit des Kandinsky-Wortes eingeschrä nkt wü rde, jede Form sei legitim, wenn sie innerlich notwendig ist.

Im Almanach „Der Blaue Reiter" ist zweifellos Kandinskys Aufsatz „Ü ber die Formfrage" der wichtigste Beitrag. Franz Marc resü miert in seinem Aufsatz ü ber „Die Wilden" (gemeint im Sinne des Fauvismus), wo ü berall die junge Kü nstlergeneration begonnen hat, neue Traditionen zu grü nden, er begrü ß t die Kameraden und beleuchtet besonders die Entwicklung in Deutschland, wä hrend David Burljuk von den Gleichstrebenden in Ruß land und Roger Allard von jenen in Frankreich, von den Kubisten, Bericht gibt, und Erwin von Busse ü ber Delaunays Kompositionsmittel spricht. Neben Werken dieser Kü nstler werden Bauernmalereien aus den Alpen und aus Ruß land und Kinderzeichnungen reproduziert — Sehnsucht nach den Ursprü ngen hat die „Blauen Reiter" gepackt, ungefä hr gleichzeitig mit Apollinaire in Frankreich erschließ en sie sich ein bisher unbeachtetes Gelä nde der Kunst. Theodor von Hartmann, Sabanejeff und Arnold Schö nberg erö rtern die Voraussetzungen einer neuen Musik (mit Notenbeispielen), wie sie dann spä ter von Schö nberg realisiert wurde.

Der „Blaue Reiter" war international, geistig wie personell. In den zwei Jahren, die ihm von 1912 bis zum Kriegsausbruch blieben, traten neben dem ü berragenden Kandinsky und dem wegen seiner mehr kontemplativen Begabung fü r das gemeinsame geistige Wachstum besonders wichtigen Franz Marc zwei andere hervor: Paul Klee und August Macke. Delaunay ist durch den starken Einfluß, den er auf Marc ausü bt, mittelbar dabei. Die Tendenz zur Abstraktion, mit der Kandinsky ja lä ngst Ernst gemacht hatte, scheint sich zu verstä rken. Da zerstö rt der Krieg die Gemeinschaft, der „Blaue Reiter" bleibt ein Fragment — und ein Faktor, der nach 1918 fortwirken wird.

Programmpunkte und Ziele der Gruppe:

Die groß e Umwä lzung;

Das Verschieben des Schwerpunktes in der Kunst, Literatur und Musik;

Die Mannigfaltigkeit der Formen: das Konstruktive, Kompositionelle dieser Formen;

Die intensive Wendung zum Inneren der Natur und der damit verbundene Verzicht auf das Verschö nern des Ä uß eren der Natur — das sind im allgemeinen die Zeichen der neuen inneren Renaissance.

Die Merkmale und Ä uß erungen dieser Wendung zu zeigen, ihren inneren Zusammenhang mit vergangenen Epochen hervorzuheben, die Ä uß erung der inneren Bestrebungen in jeder innerlich klingenden Form bekanntzumachen — das ist das Ziel, welches zu erreichen „Der Blaue Reiter" sich bemü hen wird.

Franz Marc: Die „Wilden" Deuntschlands

In unserer Epoche des groß en Kampfes um die neue Kunst streiten wir als „Wilde", nicht Organisierte, gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stä rke der Ideen. Die gefü rchteten Waffen der „Wilden" sind ihre neuen Gedanken...

Wer sind diese „Wilden" in Deutschland? Ein groß er Teil ist wohlbekannt und vielbeschrien: Die Dresdener „Brü cke", die Berliner „Neue Sezession und die Mü nchener „Neue Vereinigung" ...

Die ersten und einzigen Vertreter der neuen Ideen waren in Mü nchen zwei Russen, die seit vielen Jahren hier lebten und in aller Stille wirkten, bis sich ihnen einige Deutsche anschlö ssen. Mit der Grü ndung der Vereinigung begannen dann jene schö nen, seltsamen Ausstellungen, die die Verzweiflung der Kritiker bildeten.

Charakteristisch fü r die Kü nstler der „Vereinigung" war ihre starke Betonung des Programms; einer lernte vom andern; es war ein gemeinsamer Wetteifer, wer die Ideen am besten begriffen hatte. Man hö rte wohl manchmal zu oft das Wort „Synthese".

Befreiend wirkten dann die jungen Franzosen und Russen, die als Gä ste bei ihnen ausstellten. Sie gaben zu denken und man begriff, dass es sich in der Kunst um die tiefsten Dinge handelt, dass die Erneuerung nicht formal sein darf, sondern eine Neugeburt des Denkens ist.

Die Mystik erwachte in den Seelen und mit ihr uralte Elemente der Kunst.

Es ist unmö glich, die letzten Werke dieser „Wilden" aus einer formalen Entwicklung und Umdeutung des Impressionismus heraus erklä ren zu wollen. Die schö nstenprismatischen Farben und der berü hmte Kubismus sind als Ziel diesen „Wilden" bedeutungslos geworden.

Ihr Denken hat ein anderes Ziel: Durch ihre Arbeit ihrer Zeit Symbole zu schaffen, die auf die Altä re der kommenden geistigen Religion gehö ren und hinter denen der technische Erzeuger verschwindet...

(Aus: „Der Blaue Reiter", Verlag R. Piper, Mü nchen, 1912)

Franz Marc: Aphorismen

Traditionen sind eine schö ne Sache; aber nur das Traditionenschaffen, nicht von Traditionen leben.

Jeder Formbildner und Ordner des Lebens sucht das gute Fundament, den Fels, auf dem er bauen kann. Dies Fundament fand er nur ä uß erst selten in der Tradition; sie hat sich meist als trü gerisch und nie als sehr dauerhaft erwiesen. Die groß en Gestalter suchen ihre Formen nicht im Nebel der Vergangenheit, sondern loten nach dem wirklichen, tiefsten Schwerpunkt ihrer Zeit. Nur ü ber ihnen kö nnen sie ihre Formen aufrichten.

... Unser europä ischer Wille zur abstrakten Form ist ja nichts anderes als unsre hö chst bewuß te, tatenheiß e Erwiderung und Ü berwindung des sentimentalen Geistes...

So erscheint dem spä ten Denker das Abstrakte wieder als das natü rliche Sehen, als das primä re, intuitive Gesicht, das Sentimentale aber als hysterische Erkrankung und Reduktion unseres geistigen Sehvermö gens...

Reinheit und Helle; befreit sie von der alten Fessel der Konsonanz. Mit heiß em Auge und feurigem Ohr durch die neuen Jagdgrü nde ziehen. Das Aufblü hen des Unbekannten.

Franz Marc

Franz Marc wurde 1880 als Sohn eines Malers in Mü nchen geboren. Er besuchte von 1900 an die Mü nchner Akademie als Schü ler von Hackl und Diez. 1903 reiste er nach Paris und in die Bretagne und bekam Berü hrung mit dem Impressionismus. Der Jugendstil, die fortschrittlichste kü nstlerische Bewegung der Zeit, half ihm, sich mit grö ß erer Entschiedenheit Formprobleme zu stellen, als das an der Akademie ü blich war. Wä hrend einer zweiten Reise nach Paris im Jahr 1907 wurde er stark von van Gogh beeindruckt. 1907 und 1908 malte er in Indersdorf und Lenggries. Den Sommer 1909 verbrachte er in Sindelsdorf, wohin er 1910 ganz ü bersiedelte. 1910 fand auch seine erste Ausstellung in der Galerie Brackl in Mü nchen statt. Marc lernte Macke kennen, der sein bester Freund werden sollte, und wenig spä ter auch Kandinsky. Gemeinsam versuchten sie der neuen Malerei einen Weg zu bahnen und verö ffentlichten das almanachartige Buch „Der Blaue Reiter" (Verlag R. Piper). 1911 schrieb Marc eine leidenschaftliche Verteidigung fü r die Neue Mü nchner Kü nstlervereinigung. Von 1911 an ging Franz Marc seinen eigenen Weg. In der Zeit bis zu seinem Auszug in den Krieg schuf er das Beste seines Werkes. Nach seinen pointillistischen Versuchen gebrauchte Franz Marc die Farbe bald auf eine freiere Art, welche an die „Fauves" denken lä ß t. 1912 etwa wird der Einfluß des Kubismus spü rbar, aber der wichtigste Einfluß ist fü r Marc, ebenso wie fü r seinen Freund Macke, der Delaunays. Die groß en Bilder des Jahres 1913 erreichen eine geradezu mythische Kraft. Von den groß en Tierbildern fü hrt der Weg auf die Abstraktion hin, die indessen auß erordentlich lyrisch empfunden bleibt. Franz Marc fiel 1916 vor Verdun.

Wassily Kandinski

Wassily Kandinsky wurde 1866 in Moskau geboren. Er begann seine Studien in Odessa. In Moskau studierte er Jurisprudenz und Volkswirtschaft und nahm an einer ethnographischen Expedition in das Innere Ruß lands teil, wo ihn die bä uerliche Volkskunst beeindruckte. Als Dreiß igjä hriger gab er die Juristerei auf, um malen zu lernen. Er ging nach Mü nchen, besuchte die private Malschule von Azbe, wo er Jawlensky traf, dann (als Schü ler von Franz Stuck) die Kunstakademie. 1902 erö ffnete er in Mü nchen eine eigene Schule fü r Zeichnen und Malen und wurde Prä sident der Kü nstlervereinigung „Phalanx". Er trat 1902 der Berliner Sezession, 1903 dem Deutschen Kü nstlerbund bei. Auch im Pariser „Herbstsalon" stellte er aus. Wä hrend der Jahre 1903 und 1907 war er viel auf Reisen. Er besuchte Kairuan in Tunesien und fuhr nach Holland und Italien. Ein Jahr lang hielt er sich in Sevres, in der Nä he von Paris, auf. Von 1908 bis zum Kriegsausbruch lebte er in Mü nchen und Murnau. 1910 malte er seine ersten, ganz und gar vom Naturalismus freien Werke und schrieb sein Buch „Ü ber das Geistige in der Kunst", das 1912 von Reinhard Piper verlegt wurde. Er traf mit Franz Marc, August Macke und Paul Klee zusammen und gab gemeinsam mit Franz Marc das Jahrbuch „Der Blaue Reiter" heraus. Die erste Kollektiv-Ausstellung Kandinskys fand in Berlin in der Galerie „Der Sturm" im Jahre 1912 statt. 1913 erscheint im Verlag „Der Sturm" ein Kandinsky-Album, und Reinhard Piper verlegt im gleichen Jahr „Klä nge", eine Sammlung von Gedichten und Holzschnitten Kandinskys. In Ruß land, wohin er 1914 zurü ckkehrte, wirkte Kandinsky zwischen 1917 und 1921 als akademischer Lehrer und Organisator des Kunstunterrichtes. 1921 war er in Berlin, wo ihn seine Berufung an das Weimarer (spä ter Dessauer) „Bauhaus" erreichte, dem er bis 1933 angehö rte. 1933 ließ er sich in Neuilly-sur-Seine nieder, wo er 1944 starb.

August Macke wurde 1887 in Meschede im Sauerland geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Kö ln und Bonn. Er studierte an der Akademie und der Kunstgewerbeschule in Dü sseldorf. Im Herbst 1907 war er Schü ler von Corinth in Berlin. Im Jahre 1907 und 1908 unternahm er Reisen nach Paris und lernte so frü hzeitig schon die franzö sische Malerei kennen. Seit seiner Heirat im Jahre 1909 war er in Bonn ansä ssig. Vom Herbst 1909 bis zum Herbst 1910 lebte er in Tegernsee. Hier lernte er Franz Marc kennen, der ihn mit der Neuen Mü nchner Kü nstlervereinigung, mit Kandinsky und Jawlensky in Verbindung brachte. Macke und Marc freundeten sich bald an. 1911 war er bei Marc in Sindeisdorf und bei Kandinsky in Murnau. 1912 unternahm er gemeinsam mit Franz Marc eine Reise nach Paris und lernte Delaunay kennen. 1914 reiste er mit Paul Klee und dem Schweizer Maler Louis Molliet nach Kairuan in Tunis. Nach seiner Rü ckkehr blieben ihm nur noch wenige Wochen bis zu seiner Einberufung zum Frontdienst. Er fiel schon am 16. September 1914, erst 27 Jahre alt.

Man ist versucht, das Werk Mackes nur in Verbindung mit der Kü nstlergruppe „Der Blaue Reiter" zu sehen. Aber seine kü nstlerische Haltung ist sehr verschieden von der Kandinskys und Franz Marcs. Wä hrend Kandinsky und Marc einer gei­stigen Wirklichkeit direkten Ausdruck verleihen wollten, bleibt Macke der optischen Welt durchaus verbunden. „Er war das Sonntagskind der modernen Malerei, das heiter, sicher und im Glü ck seinen kurzen Erdenweg durchschritt."

Paul Klee

Paul Klee wurde 1879 in Mü nchenbuchsee bei Bern als Sohn eines frä nkischen Musikers und einer Schweizerin sü dfranzö sischer Herkunft geboren. Er studierte an der Mü nchner Kunstakademie als Schü ler von Knirr und Stuck. 1901 unternahm er gemeinsam mit dem Bildhauer Hermann Haller eine Italienreise. 1906 ließ er sich in Mü nchen nieder, nachdem er eine Pianistin geheiratet hatte. In dieser Zeit war Klee primä r Zeichner. Alfred Kubin, dem die skurillen versponnenen Blä tter auffielen, wies Kandinsky auf den jungen Kü nstler hin. Vom Jahr 1912 an datiert eine innige freundschaftliche Verbindung zwischen Klee und Kandinsky. 1912 reiste Klee nach Paris, wo er Apollinaire, Picasso und Delaunay kennenlernte; einen Aufsatz Delaunays ü ber das Licht ü bersetzte er fü r die Berliner Wochenzeitschrift „Der Sturm". Sicher gehö rt die Begegnung mit der neueren franzö sischen Malerei, insbesondere mit den Werkenvon Cezanne, van Gogh und Matisse, zu den Ereignissen, die nachhaltig auf seine Entwicklung einwirkten. Ebenso entscheidend war die Reise nach Tunis, die er 1914 gemeinsam mit August Macke und seinem Schweizer Jugendfreund Louis Molliet unternahm. Von 1922 bis 1930 unterrichtete Klee am Weimarer und Dessauer Bauhaus. Die Weimarer Zeit ist eine Phase auß erordentlicher Produktivitä t. Von allen Seiten strö men Anregungen auf Klee ein. In seinem in der Reihe der Bauhauspublikationen erschienenen „Pä dagogischen Skizzenbuch" hat er seine tiefen Einsichten in das Wesen des kü nstlerischen Schaffens und des Kunstunterrichtes formuliert. Von 1931 bis 1933 war er Professor an der Dü sseldorfer Akademie. Als ihn die Nazis von dort vertrieben, verließ er Deutschland und lebte in der Schweiz. Er starb 1940 in Mu-ralto-Locarno. — Klee hat eine unü berschaubare Zahl von Chiffren erfunden und ein Werk hinterlassen, das in sich voll­endet und zugleich fragmentarisch ist.

Alexej von Jawlensky

Alexej von Jawlensky wurde 1864 in Souslovo in der Nä he von Twer (Ruß land) geboren. Er gab die Karriere eines Offiziers der kaiserlichen Garde auf, um malen zu kö nnen und studierte von 1889 an in Moskau sowohl an der Akademie als auch bei dem Maler Repin. 1896 trat er in Mü nchen in die Malschule von Anton Azbe ein, wo er Kandinsky traf. Er ist mit Kandinsky, Kubin, Gabriele Munter und anderen einer der Grü nder der Neuen Mü nchner Kü nstlergesellschaft (1909). Wä hrend des Krieges lebte er in der Schweiz. 1921 ließ er sich in Wiesbaden nieder. 1926 gehö rte er mit Kandinsky, Klee und Feininger zur Gruppe „Die Blauen Vier".

Dieser russische Maler ö ffnete sich in Mü nchen den Einflü ssen westlicher Kunst. Cezanne und van Gogh wurden seine Vorbilder bei der Suche nach einer grö ß eren und ausdrucksstä rkeren Form. Eine Reise in die Bretagne und in die Provence machte seine koloristischen Gaben frei, die sich durch die Begegnung mit Matisse voll entfalten.

Die Malerei Jawlenskys ist frei und ü berschä umend. Sie ä hnelt in ihrer starken primitiven Ausdrucksgewalt russischer Volkskunst. Er malte Landschaften, aber vor allem Kö pfe und Halbfiguren, die er in einfache und monumentale Formen zwang. Er malte gleichsam neue Ikonen, die von einer tiefen mystischen Religiositä t geprä gt sind. „Die Kunst ist das Heim­weh Gottes", hö rte man Jawlensky oft sagen. Wä hrend seiner letzten Jahre war Jawlensky durch Krankheit in seinem kü nstlerischen Schaffen behindert. Er starb 1941 in Wiesbaden.

Heinrich Campendonk

Heinrich Campendonk wurde 1889 in Krefeld geboren. Er lernte bei Thorn Prikker an der Krefelder Kunstgewerbeschule. Auf eine Einladung von Marc und Kandinsky hin ließ er sich 1911 in Sindelsdorf nieder, wo auch Marc damals sein Domizil hatte. 1916 — nach seiner Entlassung vom Militä rdienst — ü bersiedelte er nach Seeshaupt. 1926 ü bertrug ihm die Dü sseldorfer Akademie eine Professur, die er 1933 wieder niederlegen muß te; er emigrierte nach Amsterdam und ist seither Professor an der dortigen „Rijksakademie van beeidende Kü nsten".

Campendonk wurde vor allem durch seine kraftvollen Holzschnitte, die er in groß er Zahl schuf, bekannt. Herwarth Waiden hat viele von ihnen im „Sturm" unmittelbar vom Holzstock drucken lassen. Wirklichkeit und Traum finden sich auf ihnen, ä hnlich wie bei Chagall, vermischt. Tiere, Menschen und Pflanzen verbinden sich auf eine bezaubernde, ans Mä rchen anklingende Weise, zu Ornamenten. Campendonks Linienstrukturen sind gefä lliger als die seiner Weggenossen, wie auch sein Temperament mehr zur Idylle und zum Mä rchenhaften, mehr zur poesievollen Schilderung als zur Kargheit strenger Konzeptionen neigt. Seine Eigenart hat sich am stä rksten wohl in seinen Hinterglasbildern ausgedrü ckt, deren verlorengehende Technik Franz Marc neu zu beleben trachtete.

Wassily Kandinsky: Ü ber die Formfrage

Zur bestimmten Zeit werden die Notwendigkeiten reif, das heiß t: der schaffende Geist (welchen man als abstrakten Geist bezeichnen kann) findet einen Zugang zur Seele, spä ter zu den Seelen und verursacht eine Sehnsucht, einen innerlichen Drang.

Wenn die zum Reifen einer prä zisen Form notwendigen Bedingungen erfü llt sind, so bekommt die Sehnsucht, der innere Drang, die Kraft, im menschlichen Geist einen neuen Wert zu schaffen, welcher bewuß t oder unbewuß t im Menschen zu leben anfä ngt.

Bewuß t oder unbewuß t, sucht der Mensch von diesem Augenblick an dem in geistiger Form in ihm lebenden neuen Wert eine materielle Form zu finden.

... Die Form ist immer zeitlich, d. h. relativ, da sie nichts mehr ist, als das heute notwendige Mittel, in welchem die heutige Offenbarung sich kundgibt, klingt.

Der Klang ist also die Seele der Form, die nur durch den Klang lebendig werden kann und von innen nach auß en wirkt.

Die Form ist der ä uß ere Ausdruck des inneren Inhaltes.

Deshalb sollte man sich aus der Form keine Gottheit machen. Und man sollte nicht lä nger um die Form kä mpfen, als sie zum Ausdrucksmittel des inneren Klanges dienen kann. Deshalb sollte man nicht in einer Form das Heil suchen...

Die Notwendigkeit schafft die Form...

... Und also als letzter Schluß muß festgestellt werden: nicht das ist das wichtigste, ob die Form persö nlich, national, stilvoll ist, ob sie der Hauptbewegung der Zeitgenossen ent­spricht oder nicht, ob sie mit vielen oder wenigen anderen Formen verwandt ist oder nicht, ob sie ganz einzeln dasteht oder nicht usw., sondern das wichtigste in der Formfrage ist das, ob die Form aus der inneren Notwendigkeit gewachsen ist oder nicht.

Paul Klee: Schö pferische Konfession

Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Das Wesen der Graphik verfü hrt leicht und mit Recht zur Abstraktion. Schemen- und Mä rchenhaftigkeit desimaginä ren Charakters ist gegeben und ä uß ert sich zugleich mit groß er Prä zision. Je reiner die graphische Arbeit, das heiß t, je mehr Gewicht auf die der graphischen Darstellung zugrunde liegenden Formelemente gelegt ist, desto mangelhafter die Rü stung zur realistischen Darstellung sichtbarer Dinge.

... Wenn ein Punkt Bewegung und Linie wird, so erfordert das Zeit. Ebenso, wenn sich eine Linie zur Flä che verschiebt. Desgleichen die Bewegung von Flä chen zu Rä umen.

Entsteht vielleicht ein Bildwerk auf einmal? Nein, es wird Stü ck fü r Stü ck aufgebaut, nicht anders als ein Haus.

Und der Beschauer, wird er auf einmal fertig mit dem Werk? (Leider oft ja.)

 

Der Blaue Reiter

Die Gruppe " Der Blaue Reiter" entsteht 1912 in Mü nchen, 1914 wird sie durch den Kriegsausbruch in ihrer Aktivitä t unterbrochen. 1986 waren drei junge russische Maler in Mü nchen eingetroffen, um hier zu studieren: Wassily Kandinsky; Alexej von Jawlensky und Marianna von Werefkin. Kandinsky wurde zu einem der wesentlichsten Anreger des kü nstlerischen Lebens in Mü nchen. Der Blaue Reiter", so erzä hlte W.Kandinsky, rü ckblickend, " wurde beim Kaffeetrinken mit Franz Marc in dessen Wohnung geboren". Beide Maler liebten die Farbe Blau und Marc besonders die Pferde. Sie galten ihm als Symbol des Heroischen und verkö rperten eine neue Perspektive harmonischen Seins. Blau war fü r den introvertierten Maler die Farbe der Vergeistigung. Dieser Assoziation entwuchs eine der wichtigsten Kü nstlervereinigungen der neueren Kunstgeschichte. Zwar existierte " Der Blaue Reiter" nicht lange, dennoch war die Kü nstlergruppe der Boden fü r die Revolution der gegenstandslosen Malerei. W.Kandinsky, der Initiator und Theoretiker der Expressionistenvereinigung, wagte bereits 1910 sein erstes gegenstandsfreies Aquarell. 1911 schlossen sich Alfred Kubin, Gabriele Munter, August Macke, spä ter auch Paul Klee und Alexej von Jawlensky den beiden Malern an. Kandinskys Ziel war gerade das Neue, Unbekannte zu suchen, herrschende Konventionen und Strö mungen hinter sich zu lassen, neue Denkweisen auszubilden und den avantgardistischen Tendenzen im Ausland ein Forum zu bieten.

" Der Blaue Reiter" stellte keine homogene Kü nstlergemeinschaft dar, seine Mitglieder verstanden sich nicht als Schule, sondern als individuelle Vertreter progressiver Ideen und neuer Sichtweisen in der Malerei. Im Gegensatz zur " Brü cke", die sich malerisch noch immer mit Inhalten, mit der Realitä t, Gesellschaft und ihren Deformierungen auseinandersetzte, richteten sich die Gedanken und Experimente vom " Blauen Reiter" ausschließ lich auf die Bewä ltigung des Gegenstandes und seiner Form, ging der kü nstlerische Blick der Mü nchener Expressionisten in Richtung Utopie und suchte dort die Abstraktion des Seins. Noch vor dem spektakulä ren Erscheinen des Jahrbuches " Der Blaue Reiter" (1912) lieferte Kandinskys Buch " Ü ber das Geistige in der Kunst" (1911) den Malern und ihren Zeitgenossen wichtige Denksä tze. Darin entwickelte der Moskauer Jurist und Nationalö konom seine Theorie ü ber den " reinen inneren Klang" der Malerei und seine verschiedenen Quellen: " Impression" nennt er die Eindrü cke der ä uß eren Natur, " Improvisationen" das Unbewuß te und Spontane innerer Vorgä nge, " Kompositionen" schließ lich die pedantisch ausgearbeiteten Entwü rfe der Vernuft, das Bewuß te und formal Zweckmä ß ige.

Fü r die Expressionisten war die Schwelle zur Abstraktion jedoch noch nicht ü berschritten. Vorerst muß ten sie darum kä mpfen, die Unabdingdarkeit der Wiedergabe von Wirklichkeit aufzuweichen und die Abbildung als solche relativieren. Hierfü r benö tigten sie einen neutralen motivischen Untergrund. Kandinsky fand ihn in bebauten und unbebauten Landschaften, August Macke in Menschenszenieren, Franz Marc in der Welt der Tiere. Schließ lich sollte die Form sprechen, nicht ihr Inhalt. Bei den Expressionisten sind zwar Kö pfe, aber selten Physiognomien zu finden; Hä user, aber keine Architekturen mit Wiedererkennungswert; Tiere, die Aussagen durch die Farbe ihrer Kö rper machen, nicht aber mit dem Ausdruck ihrer Augen. Tote oder lebendige Dinge sind die Schablonen einer Werteskala der Expressionen.

Gabriele Munter war die Schü lerin Kandinskys, als dieser noch in der 1902 gegrü ndeten, wenig erfolgreichen Malschule " Phalanx" unterrichtete. Sie wurde seine Gefä hrtin und lebte bis zum Jahre 1914 mit ihm zusammen. Grö ß eren Einfluß auf ihr kü nstlerisches Werk hatte allerdings Alexej von Jawlinsky, mit dem sie die Vorliebe fü r groß e leuchtende Farbflä chen und deren dunkle Konturierung teilte. Die Beschä ftigung mit der Technik des Holzschnittes sowie die bayerische Volkskunst des Hinterglasmalens emanzipierten schließ lich das Werk der Murnauer Malerin von den Einflü ssen ihrer Kü nstlerfreunde.

 

Lesen Sie das Gesprä ch mit verteilten Rollen vor. Merken Sie sich dabei die Gesprä chsformeln und die themenbezogene Lexik.

Fassen sie den Inhalt der drei Texte zu einer kurzen Aussage zusammen. Gehen Sie dabei auf die Unterschiede zwischen dem norddeutschen und sü ddeutschen Expressionismus ein.


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