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Na, wie findest du das Bild?



Thomas: Was sagst du zu dem Bild?

Max: Gekonnt, das muß ich zugeben.

Thomas: Ein reizender Einfall, gute Technik. Wirklich gut gemacht. Das Bild lä ß t ein Talent vermuten.

Erika: Das Bild blendet, man muß mehr von der Seite anschauen.

Max: Man muß von diesem Bild etwas zurü cktreten.

Museumsfü hrer: Zu erwä hnen wä re noch der Maler K. In seinen Bildern verzichtet er vö llig auf die Perspektive, bringt alles auf eine Flä che. Zur Spannung im Bild tragen die krä ftigen Farben bei.

Thomas: Aber Talent hat er, das muß man ihm zulassen.

Erika (zu Max): Und was hä ltst du von dem Bild? Was hat der Maler mit diesem Bild ausdrü cken wollen?

Max: Ist mir auch ein Rä tsel.

Erika: Jetzt habe ich aber genug.

Thomas: Nanu, hat es nicht gefallen?

Erika: Das schon, aber ich falle beinahe um vor Mü digkeit. Zuerst ist alles sehr interessant, nachher stumpft man ab, und man nimmt ü berhaupt nichts mehr auf.

Thomas: Na, und was meint ihr zu der Ausstellung?

Erika: Meisterwerke gab's nicht viele, aber der Rundgang hat sich gelohnt. Solche Ausstellungen muß man sich nicht entgehen lassen.

Thomas: Ich habe immerhin was dazugelernt.

Max: Aber anstrengend war es auch. Es wird schon Zeit zu gehen.

Erika: Anna wird schon auf uns warten.

 

Tauschen Sie nachher Ihre Eindrü cke ü ber eines der Bilder von deutschen Expressionisten aus. Benutzen Sie dabei die Lexik aus dem Polylog " Wie findest du das Bild? ", dazu noch folgende Ausdrü cke:

 

Kritik

sich abfä llig ü ber j-n (etw.) ä uß ern

ü ber einen Kü nstler (sein Werk) tü chtig herziehen

dem Maler unnatü rliches Kolorit vorwerfen

der Kitsch

ein Bild (die Kunst) fü r entartet erklä ren

Lob

unü bertroffener Meister

Вahnbrecher auf Gebiet

seine schö pferische Kraft beweisen

Kü nstler von Weltruf

 

 

Wie betrachte ich ein abstraktes Kunstwerk

Gerhard Charles Rump

Es ist zuerst davon auszugehen, dass ein abstraktes Gemä lde genauso wahrgenommen wird wie ein gegenstä ndliches Bild. Weder verfü gen wir ü ber einen gesonderten „abstrakten" Sinn noch entsprechende Sinnesorgane. Nur die Wahrnehmungsbedingungen, d.h. die Situation, in der ich die Bilder wahrnehme, ist eine andere. Fü r gegenstä ndliche Bilder gibt es eine jahrhundertealte Sehtradition. Die Sehtradition fü r abstrakte Kunst ist aber gerade 70 Jahre alt. Dadurch hat die abstrakte Kunst schlechtere Voraussetzungen, als gleichartig (oder gleichwertig) angesehen zu werden. Diese didaktische Einfü hrung soll einen Beitrag dazu leisten, den Einstieg in die Betrachtung ungegenstä ndlicher Bilder zu erleichtern oder erst zu ermö glichen.

Betrachten wir zunä chst ein herkö mmliches, gegenstä ndliches Bild, Jacques Louis Davids „Schwur der Horatier", das im Louvre in Paris aufbewahrt wird.

Wir blicken in einen hohen, kargen Raum. Der Hintergrund wird durch drei Rundbö gen abgegrenzt, hinter denen sich der Raum im Dunkel verliert. Davor spielt sich eine Szene ab, die schlaglichtartig von einer auß erbildlichen Lichtquelle von links oben (alle Seitenangaben erfolgen immer vom Betrachter aus! ) beleuchtet wird. Links stehen drei jü ngere Mä nner parallel hintereinandergestaffelt. Sie stehen breitbeinig, angespannt, erheben jeder einen Arm, den sie nach rechts strecken. Sie sind in rö mischer (antiker) Rü stung und haben Helme auf. Der Vorderste hä lt eine Lanze, die schrä g nach oben links weist. Er wird von dem Mittleren in der Taille umarmt. Ihnen gegenü ber steht, ebenso breitbeinig, aber nicht mehr so kraftvoll, ein ä lterer, bä rtiger Mann, der in die Richtung der Lichtquelle blickt und beide Arme in die Blickrichtung hebt. In der vorderen Hand hä lt er drei unterschiedlich geformte Schwerter. Rechts sehen wir eine Gruppe von zwei Frauen, die sich einander zuneigen. Zwischen dieser und dem bä rtigen Alten ist etwas weiter hinten eine etwas ä ltere Frau zu sehen, die sich zu zwei kleineren Kindern beugt und sie mit den Armen umgreift.

Wir sehen sofort, dass die beschriebenen Bildfiguren nicht irgendwie im Bilde stehen, sondern dass sie geordnet sind. Ihr Standort und ihre Haltung sind durch eine Komposition festgelegt. Diese ist hier sehr streng, und lä ß t sich in Umriß linien und den durch die Richtungswerte der Kö rper gebildeten geometrischen Figuren beschreiben. Und zwar sind die mä nnlichen Figuren durch Dreiecke und Parallelogramme bzw. Trapeze einzeln betont und zusammengefaß t. Ein Gleiches lä ß t sich fü r die Frauengruppen sagen. Der Unterschied im Charakter der Kompositionsfiguren wird im wesentlichen durch die Umriß linien bestimmt: Die Umriß linien der mä nnlichen Gruppe sind schroff und unruhig, spitz; die der weiblichen Gruppe sanfter und fließ ender.

Diese Kompositionsfiguren hat David mit Absicht gewä hlt. Die Figuren drü cken etwas aus, ü ber das in der Kunstpsychologie einiges gesagt worden ist. So bildet der vordere jü ngere Mann ein Dreieck, und zwar ein gleichschenkliges Dreieck, das auf der Basis steht. Ein solches Dreieck erweckt den Eindruck von Stabilitä t und Standfestigkeit, im Gegensatz etwa zu einem Dreieck, das auf der Spitze steht, das instabil, wackelig aussieht, und jeden Moment entweder zur einen oder zur anderen Seite stü rzen kann.

Ä hnlich verhä lt es sich mit der Figur des Alten. Verbindet man die Richtungswerte der Beine links, der Arme und der rechten Kö rperseite des Alten, ergibt sich ein Trapez, das die beiden Gruppen miteinander verbindet. Ä hnlich ist es bei der vorderen Frauengruppe, die sowohl in einem Dreieck zusammengefaß t ist, wie auch im Bereich der Beine nochmal mit einer Trapezform.

Es lassen sich viele solcher Formen finden. Wie viele zu sehen sinnvoll ist, wird vom Inhalt des Bildes her bestimmt. Es sind immer so viel Kompositionsformen zu berü cksichtigen, wie vom Inhalt her zu begrü nden sind. Dazu kö nnen auch damals gü ltige akademische Kompositionslehren herangezogen werden.

Das Bild hat, und das ist sehr deutlich, einen bestimmten Inhalt, es erzä hlt eine Geschichte oder, besser: Es stellt einen Moment aus einer Geschichte dar. Damit will es etwas erreichen. Es will diese Geschichte in eine mö glichst ö ffentliche Diskussion bringen. Aber diese Geschichte selbst wieder ist Stellvertreterin fü r bestimmte Wertvorstellungen und politische Meinungen.

Der Vollstä ndigkeit halber sei das hier kurz umrissen. Es handelt sich hier um ein sog. Historienbild, also ein Bild, das in der akademischen Hierarchie der Gattungen die hö chste Stelle einnahm und von daher den hö chsten offiziellen Aufmerksamkeitswert fü r sich beanspruchte. In der Historienmalerei sollten die hö chsten Gü ter und wichtigsten Taten dargestellt werden. Das geschichtliche Ereignis ist folgendes: Wä hrend der Regierungszeit des rö mischen Kö nigs Tullus (bis 510 vor Christus) drohte einst ein Krieg zwischen Rö mern und Albanern. Um diesen zu vermeiden, schlagen die Albaner vor, jeweils zwei in etwa gleich krä ftige und gleich alte Drillingsbrü der aus beiden Heeren gegeneinander kä mpfen zu lassen, stellvertretend fü r die ganze Armee. Der Vorschlag wurde angenommen. Auf der rö mischen Seite traten die Horatierbrü der an, auf der albaner Seite die Curiatier. Zwei Horatier fielen sehr schnell im Kampf, einer blieb vö llig unverletzt. Die drei Curatier waren unterschiedlich schwer verletzt. Der letzte Horatier lief zunä chst davon, so dass die Curiatier ihn verfolgen muß ten. Abhä ngig vom Grade ihrer Verletzungen erreichten sie ihn aber nacheinander, und der Horatier konnte einen nach dem anderen besiegen. Der Sieger wurde im Triumphzug nach Rom geleitet. Dort fand er eine seiner Schwestern, die mit einem Curiatier verlobt war, wegen des Todes ihres Verlobten in Trä nen vor. In einer Gefü hlsaufwallung tö tete er sie.

Bei David ist dieser Kampf nicht direkt dargestellt, sondern nur in einer nicht ü berlieferten Szene, die der Kü nstler erfunden hat: Es ist der dem Kampf vorausgehende Schwur der Brü der, sich ganz dem Vaterland zu weihen.

Diese Geschichte steht in einem weiteren Zusammenhang: Das Bild war ein Auftrag der franzö sischen Krone (1784) und sollte darstellen, dass das Wohl des Vaterlandes ü ber das Interesse des Einzelnen zu stellen ist. Ironischerweise ist das Bild - das bei seiner ersten Ausstellung 1785 von ü ber 30000 Menschen gesehen worden ist - aber in der Folge immer revolutionä r verstanden worden. Der politische Wille, der zum Auftrag gefü hrt hatte, hatte sich schon gegen den Auftraggeber gekehrt. Die politischen Ideale waren in der vorrevolutionä ren Situation schon fü r die Revolution vereinnahmt, ohne dass der Hof das bemerkt hat.

Die politisch-moralische Forderung dieses Bildes tritt hier aber so auf, dass das Tugendbeispiel aus der Geschichte und seine Bedeutung fü r die Gegenwart nicht als einfache Illustration zu sehen ist, sondern als selbst Geschichte gestaltende Kraft: Kunst als bewegende Kraft der Geschichte. Das sieht man daran, dass eine erfundene Szene - der nicht ü berlieferte Schwur - gewä hlt wird, die dann nä mlich in den kunstgeschichtlichen Zusammenhang paß t, der seit geraumer Zeit schon die Darstellung des Schwures als Mittel zum Ausdruck patriotischen Denkens kannte: 1764 lieferte Gavin Hamilton den „Schwur des Brutus", Benjamin West 1771 den „Schwur des Hannibal" und Johann Heinrich Fü ssli 1779 den „Rü tlischwur".

David verbindet das Motiv des Schwurs mit einem zuvor in dieser Stä rke kaum gekannten Ausdruck von zielstrebiger Willenskraft. Dieser stellt sicher, dass der Kern der Handlung in seinem Charakter auch dem erfü hlbar ist, der von der weiteren Geschichte nichts weiß. Die Gestaltung von Geschichte und die Verbindung von Politik und Morallehre zeigen, dass das Bild einerseits zwar einen historischen Stoff gestaltet, andererseits damit aber gleichzeitig in die politische Gegenwart eingreift. Es fordert die Ü bertragung des beispielhaften Verhaltens der handelnden Personen auf den Betrachter selber.

An dieser kurzen Darstellung wird deutlich, wie schwierig dem nicht bewanderten Betrachter klassische Kunst sein kann. Das Bild bietet ihm sehr wenig - gerade Davids „Horatierschwur" ist ja sehr karg (was auch eine inhaltliche Seite hat) und gibt wenig ä sthetische Ablenkung. Das, was zum einigermaß en gerechten Erfassen des Bildes nö tig ist, ist sehr wesentlich Auß erbildliches.

Die anderen Eigenschaften, die ä sthetischen Eigenschaften, wie Farbe (auf die wir hier nicht nä her eingegangen sind), Komposition und Ausstattung mit Motiven, sind in rein dienender Funktion dem Inhalt untergeordnet. Das Thema des Bildes ist das Verhä ltnis von Staat und Individuum, von Politik und Moral, von Eigeninteresse und patriotischem Interesse. Farbe und Form sind so eingesetzt, dass dieser Inhalt mö glichst gut verstä ndlich wird.

An diesem Beispiel haben wir gesehen, welche Grundlagen die Betrachtung herkö mmlicher Bilder hat, ohne natü rlich das Thema damit erschö pft oder auch nur alle Aspekte des Bildes berü hrt zu haben. Aber der Boden ist bereitet fü r den Vergleich mit der Betrachtung, die fü r abstrakte Bilder angemessen ist.

Nehmen wir als Beispiel ein frü hes abstraktes Bild, das „Opus 25 a" von Carl Buchheister, das 1925 entstand, also nur 15 Jahre nach dem ersten abstrakten Bild ü berhaupt (von Wassili Kandinsky - darauf werden wir noch zurü ckkommen).

Wir betrachten das Bild so, dass das schwarze Quadrat rechts oben zu sehen ist. Dann hat das hochformatige Rechteck eine hellockerfarbene, in sich sehr gleichmä ß ige Hintergrundsflä che. Als Bildfigur, in der Mitte, den grö ß ten Teil der Flä che einnehmend, eine Zusammenstellung von Formen verschiedener Umrisse und Farben, die sich wie die Teile eines Puzzlespiels zu einer unregelmä ß ig begrenzten Gesamtform zusammenschließ en.

Beginnen wir unten in der Mitte mit dem gekippten schwarzen Quadrat, an dessen nach links oben weisender Seite sich ein grauer Streifen anschließ t, der nicht ü ber die Seitenlä nge des Quadrats hinausweist. An ihn schließ t sich ein unregelmä ß ig begrenztes Feld in Ultramarinblau an. Die Begrenzung zum grauen Streifen hin ist geradlinig aber lä nger als der Streifen. Nach links hin geht die geradlinige Begrenzung in eine gebogene Linie ü ber, die nach etwa 190° Bogenumlauf einen Wendepunkt hat. Nach kurzem Bogen geht sie wieder in eine geradlinige Begrenzung ü ber, die der unteren parallel ist, daher also von links unten nach rechts oben lä uft. Rechtwinklig knickt er nach rechts unten ab, um schnell in eine sich schlangelnde Kontur ü berzugehen, die in den erstgenannten geradlinigen Teil ü bergeht. Diese blaue Flä che hat an der linken ä uß eren Ausbuchtung einen gerade abgeschnittenen, ihr sonst aber im Bogen folgenden, grü nen Streifen als Begleitung.

An das blaue Feld schließ t sich rechts ein fast ganz unregelmä ß ig begrenztes weiß es Feld an, dass an dem Punkt des blauen Feldes entspringt, an dem die kurze, nach rechts unten weisende gerade Begrenzungslinie in eine gebogene ü bergeht. Das weiß e Feld endet dort, wo das gekippte schwarze Quadrat an den grauen Streifen und dieser an das blaue Feld stö ß t. Es ist dort auch geradlinig begrenzt, wobei der Punkt, an dem sich Schwarz und Grau treffen, die gerade Begrenzungslinie des weiß en Feldes im Verhä ltnis von 1: 2, 125 teilt. Es handelt sich daher wohl um eine zufä llige Proportion, da die „klassische" Proportion des „Goldenen Schnitts" ein Verhä ltnis von 1: 1, 618 angibt.

Rechts schließ t sich nun eine weitere, sowohl geradlinig wie auch krummlinig begrenzte Flä che an, die zinnoberrot ist. Auf der linken Seite schließ t sie sich geradlinig an die obere Seite des gekippten schwarzen Quadrats an, direkt an die rechte Seite der eben beschriebenen weiß en Flä che. Die gemeinsame Grenze der roten und der weiß en Flä che endet dort, wo die weiß e Flä che an der blauen Flä che entspringt. Die rote Flä che hat dann noch mit der nach rechts unten abfallenden, geradlinigen Begrenzung der blauen Flä che eine gemeinsame Grenze. Wo diese aufhö rt, biegt sich die Kontur der roten Flä che nach oben, fä llt dann nach rechts unten, berü hrt die linke Seite des schwarzen Quadrats, das uns zur Orientierung des Bildes diente, und berü hrt diese bis etwa zur Mitte. Dann biegt die Kontur sich konkav weg, um sich nach unten schlangelnd nach einer weiten Ausbuchtung nach rechts an die nach oben weisende Seite des schwarzen, gekippten Quadrats zu bewegen, mit der eine gemeinsame Grenze gebildet wird.

Rechts von dieser roten Flä che folgt eine wiederum weiß e, die da beginnt (sofern man davon sprechen kann, dass eine Flä che „beginnt" ), wo am schwarzen Quadrat rechts oben die rote Flä che sich nach links hin einzieht. Die weiß e Flä che hat links eine gemeinsame Grenze mit der roten Flä che bis zum schwarzen, gekippten Quadrat. Dann hat sie eine gemeinsame Grenze mit der nach rechts unten weisenden Seite dieses Quadrates, lä uft aber weiter nach unten ü ber diese hinaus, wie eine Art Beutel. Die rechte Seite schlä ngelt sich bis zum schwarzen Quadrat rechts oben, dessen untere Seite eine gemeinsame Grenze mit der weiß en Flä che bildet.

Nach dieser - nicht einmal zu sehr in Einzelheiten gehenden - Beschreibung ist klar, dass dieses Bild, ganz im Gegensatz zu einem „Horatierschwur", keine Geschichten erzä hlt. Es verzichtet auch auf jeden Versuch einer Wiedergabe wirklicher, natü rlicher Gegenstä nde, Personen, Rä ume. Nicht verzichtet es aber auf bestimmte andere Dinge, die auch im „Horatierschwur" eine Rolle gespielt haben. So sehen wir ja schon auf den ersten Blick, dass die farblich klar voneinander abgegrenzten Felder nicht „irgendwie" im Bildfeld liegen, sondern dass sie einer Ordnung folgen, einer Komposition. Die Grundzü ge dieser Komposition lassen sich so angeben, dass alle Flä chen sich zu einer Bildfigur mit unregelmä ß igem Umriß zusammenschließ en, die nirgends an den Bildrand stö ß t. Sie steht, den grö ß ten Teil der Bildflä che einnehmend, in der Mitte des Bildes. Wir kö nnen zwischen Figur und Grund unterscheiden (was uns bei den „Horatiern" noch vö llig unproblematisch und selbstverstä ndlich erschien). Die zentrale Bildfigur hat Teile - die wir beschrieben haben. Die Teile zeichnen sich dadurch aus, dass sie bestimmte Gegensä tze miteinander in Beziehung bringen: Gerades und Gebogenes, sich Verdü nnendes und sich Erweiterndes, Spitzes und Rundes. So wie die geometrischen Formen der Komposition in den „Horatiern" Bezü ge miteinander hatten - und natü rlich zum ganzen Bild - so ist das auch hier. Der entscheidende Unterschied aber ist, dass hier kein auß erbildliches Ereignis Thema ist, sondern dass kein auß erbildliches Thema im vergleichbaren Sinne existiert. Thema des Bildes ist die Komposition selbst. Was vorher dienende Funktion hatte, wird hier selbst Bildgegenstand. Der Maler hat sich vö llig von gegenstä ndlichen Vorgaben befreit und erhebt die sog. „Kunstmittel", hier z.B. die Komposition von Farben und Flä chen, zum Gegenstand seiner Bemü hungen.

Das ist allerdings noch nicht alles. Formen haben auf den Betrachter bestimmte Wirkungen. Auch Farben - und deren Kombination erst recht. Die Beziehungen zwischen Farbe und Form, zwischen Farben und zwischen Formen sind ü beraus komplex. Es hat in der Vergangenheit nicht daran gefehlt, der unü bersehbaren Vielfalt solcher Beziehungen durch den Entwurf bestimmter Systeme und Lehren beizukommen. Darauf kann hier allerdings nicht eingegangen werden. Die Wirkung von Farben und Formen, ihr Charakter, ist in der frü hen abstrakten Malerei durchaus als Ausgangspunkt von Gedankenverbindungen dann recht konkreter Art genommen worden. Man hat auch versucht, die abstrakten Eigenschaften konkreter Phä nomene in dann eben abstrakten Formen auszudrü cken.

Einen solchen Aspekt hat auch Buchheisters „Opus 25 a". Es hieß nä mlich eine Zeit lang (auch) „Sommer". In einem Brief an Katherine S. Dreier hat Carl Buchheister sich ausfü hrlich zu seinem Werk geä uß ert. Er schrieb: „Ich wollte also mit ungegenstä ndlichen Mitteln den Begriff Sommer darstellen. In dieser Entwicklungsperiode habe ich viel nachgedacht und ü berlegt, wie kannst du das objektiv wertbare Element in deinen abstrakten Kompositionen derart krä ftig herausstellen, dass mö glichst viel Leute an den Bildern etwas erfü hlen kö nnen. Es lag mir von Anfang nie daran, im Abstrakten Werke zu schaffen, die nur von wenigen, mir gleichgestimmten Menschen erfü hlt werden konnten. Ich behaupte auch heute mehr denn je, dass das gute abstrakte Bild genau so objektiv wertbar ist, wie eine Fuge von Johann Sebastian Bach. Wer hat nun Recht? Die Gegner, die im Augenblick in der ganzen Welt mit Stentorstimme verkü nden, die abstrakte Kunst wird niemals zu vielen sprechen, weil sie problematisch ist, weil sie die natü rlichen, abbildenden Formen verschmä ht und geometrische Gebilde hervorzaubert, die kein Mensch nachempfinden kann. Wer recht hat, zeigt allein der Lauf der Praxis, und die Praxis liefert schon jetzt zahlreiche Beweise, dass die gute nicht gegenstä ndliche Komposition durchaus objektiv wertbar ist. In der ganzen Welt gibt es Menschen, fü r die abstrakte Gestaltungen eine lebendige Wirkung ausstrahlen und diese Wirkung wird sich dauernd vervielfä ltigen und verstä rken, das ist mein unerschü tterlicher Glaube...Wie kann man nun den Begriff „Sommer" abstrakt fassen? Ich ü berlegte, im Sommer ist alles breit, rund farbig, kugelfö rmig, kompakt. Im Frü hling dagegen sind die Dinge schmal, mehr mit Energie geladen und wenig farbig. Im Frü hling sind die Bä ume durchsichtig, nurÄ ste, im Sommer stehen sie kompakt, rund, massig, grü n in der Landschaft. Man sieht im Frü hling junge Blattkeime, die wie Lanzen aus der Erde brechen und trockene Blä tter durchspieß en, um zum Licht zu gelangen. Frü hling ist schlanke Energie, die die Erstarrung des Winters kraftvoll besiegt.

Daher das Bild Sommer breit im Format, geschlossen ist der Bildkern angeordnet, breit strö mt der Fluß der gegensatzreichen Farbelemente. Das Bild ist fugenartig komponiert. Die Rundungen als Begrenzung der farbigen Flä chen zeigen an jeder Stelle den gleichen gespannten Melodiecharakter. Sie entspringen und enden fast immer in einer Geraden. Die beiden schwarzen Quadrate betonen durch untergeordnete und eingeordnete Eckigkeit das Hauptbildmotiv, „den gerundeten Fluß der farbreichen Flä chen", die in dem starken Gelb der Auß enform eingebettet sind."

Buchheister versucht also, die Wirkungen der Farben und Formen so aufeinander abzustimmen, dass der Betrachter mö glichst nahe an das herankommt, was den Maler bewegt hat. Er hat aber auch gespü rt, dass das nicht die Hauptsache an dem Bilde sein konnte und alsbald auf den Titel „Sommer" verzichtet und sich mit „Opus 25 a" begnü gt - was ü brigens einen Hinweis auf das Entstehungsjahr 1925 birgt.

Nicht unwichtig ist der Hinweis auf die Fuge von Bach. In der Tat ist ja das abstrakte Wesen der Musik unbestritten und die sogenannte „Programmusik" arbeitet ä hnlich wie Buchheister es mit dem „Sommer" getan hat: Beethovens „Pastorale" oder Berliozs „Symphonie fantastique" versuchen auch, in gewisser Weise „imitativ", naturnachahmend zu sein, um mit den abstrakten Mitteln der Musik ganz konkrete Dinge (Gewitter z.B.) auszudrü cken.

In der Tat hilft es sehr viel weiter, wenn man an ein abstraktes Bild herangeht wie an ein Musikstü ck und nach farbigen und formalen Rhythmen, Klä ngen, Harmonien und Dissonanzen sucht, statt sich zu fragen, wieso man nichts darauf erkennen kö nne. Man erkennt nä mlich auf einem abstrakten Bild sehr viel - nur bildet es nichts ab. Die Forderung, Malerei mü sse etwas abbilden, ist eine Norm, die, je absoluter sie gesetzt wird, um so weniger zu rechtfertigen ist. Das heiß t nicht, dass kü nstlerische Aussagen nicht auch heute noch in gegenstä ndlicher Malerei zu treffen wä ren. Es geht aber darum, die Norm des Abbildenden als eine von mehreren zu sehen und nicht als die alles beherrschende.

Ein abstraktes Bild ist also anders zu sehen als ein figuratives. Jedoch sei darauf hingewiesen, dass man figurative Bilder auch schon sehr weitgehend so gesehen hat, wie man abstrakte Werke sehen muß. Die Art und Weise der Malerei, die Farben, die Pinselfü hrung, die Komposition sind ja auch bei traditioneller Kunst schon immer stark beachtet worden. Zur Wertschä tzung der abstrakten Kunst bedarf es wenig mehr als der Einsicht, dass alle die Werte, die in der figurativen Kunst dienende Funktion haben und als Mittel zum Zweck eingesetzt werden, in der abstrakten Kunst Thema, also selbstä ndig sind.

Die Befreiung vom Gegenstä ndlichen hat der Malerei ganz neue Felder erschlossen und die Ausdrucksmö glichkeiten ungemein erweitert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es innerhalb der nicht figurativen Kunst zu einer geradezu stü rmischen Entwicklung gekommen ist, durch die der Bereich der ä sthetischen Untersuchung enorm ausgeweitet wurde. Bevor wir in der gebotenen Kü rze uns mit einer Reihe von weiteren Grundbeispielen befassen, scheint es angebracht, sich mit der „Erfindung" der abstrakten Malerei und ihren Grundvoraussetzungen zu befassen.

Die „abstrakte" Malerei, ursprü nglich auch „absolute" Malerei genannt (ein Ausdruck, der fü r bestimmte Arten der nichtfigurativen Kunst noch gebraucht wird), ist eine „Erfindung" Wassili Kandinskys. Wenn man „Erfindung" sagt, so kann das hier natü rlich nur heiß en, dass Kandinsky der erste (oder der erste, der damit hervortrat) war, der eine Malerei ausfü hrte, die mit den seit lä ngerem wirksamen Entwicklungen in der Malerei, die weg vom Naturgegenstand und seiner illusionistischen, augentä uschenden, gauklerischen Erscheinungsweise fü hrten, hin zu einer mehr von den Eigengesetzen von Malerei und Farbe bestimmten Kunst von Wirkung und Ausdruck.

In der Tat hat es solche verschiedenen Tendenzen im frü hen zwanzigsten Jahrhundert schon gegeben. Der Expressionismus mit seiner im akademischen Sinne wenig genauen Zeichnung und den „falschen" Farben und Formen war eine solche Richtung. Die Auflö sung des herkö mmlichen, illusionistischen Bildes findet sich schon im Impressionismus vorbereitet, der in der zeitgenö ssischen Kritik ja auch heftig bekä mpft wurde.

Wenn man das allererste abstrakte Bild sucht, so kann man es sicher bei William Hogarth in seiner „Analysis of Beauty" finden, einer der einfluß reichsten kunsttheoretischen Schriften der jü ngeren Vergangenheit. In einer der beigegebenen Tafeln ist eine kleine Darstellung am oberen Rand zu finden, die nur aus Schraffuren unterschiedlicher Dichte besteht, und somit, da es sich um eine rahmenhaft begrenzte Flä che handelt, ein abstraktes Bild darstellt. Hogarth ging es mit diesem kleinen Bildchen sogar darum, die ä sthetische Wirkung solcher Formen darzulegen. Der gedankliche Kern dessen, was abstrakte Kunst bedeutet, ist so also sicher schon im 18. Jahrhundert verfü gbar gewesen. Er hat mit der Erkenntnis zu tun, dass es viel weniger darauf ankommt, was gemalt wird als darauf, wie es gemalt wird. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich dieser Gedanke weiter. Er wurde beeinfluß t dadurch, dass nach der franzö sischen Revolution und dem Zusammenbruch des Absolutismus auch in Frankreich und Deutschland die Kunst mehr und mehr zu einer Art Marktware wurde, die den gleichen wirtschaftlichen Gesetzen unterlag wie andere Dinge auch, da die herkö mmlichen Mä zene und Auftraggeber und die damit verbundenen Beschrä nkungen immer stä rker wegfielen. Diese Situation hatte sich in der frü hbü rgerlichen Gesellschaft im Holland des 17. Jahrhunderts schon gezeigt, wo die katholische Kirche als Auftraggeber ausfiel und sich der Kü nstler als Spezialist („Fachmaler" ) auf einem ziemlich freien, von Wettbewerb beherrschten Markt behaupten muß te. In dieser Entwicklung gab es keine thematische Beschrä nkung durch Auftraggeber. Der Kü nstler, der nun die freie Wahl der Bildinhalte hatte, versuchte, seine zum Ü berleben notwendige Originalitä t nicht wie frü her in der kü nstlerischen Form, sondern im Inhalt.

So entstand eine literarisch ausgerichtete, erzä hlerische Illusionsmalerei, gegen die zuerst die „Realisten" aufstanden, die sich entschieden und grundsä tzlich dem Alltä glichen zuwandten. Damit versuchten sie auch zu zeigen, dass es in der Malerei auf die malerische Qualitä t ankomme und nicht auf den Adel des Gegenstandes.

Bald galt die sich so darstellende Phantasie und Gestaltungskraft des Kü nstlers als das Wesentliche, auch wenn sich die Malerei noch an Naturformen hielt. Ihre farbliche Ü bersetzung hielt sich zunehmend weniger an die Naturfarben, und so war der Weg zum Gebrauch der Farbe als reinem Ausdrucksmittel der Weg geebnet, da sich der „natü rliche" Zusammenhang zwischen Farbe und Form aufzulö sen begann. Ja, um das „geistige" Wesen auszudrü cken, werden Formen deformiert, werden Farben gewä hlt, die denen in der Natur widersprechen, aus der Abbildungskunst wird eine Kunst des Ausdrucks.

Auf solchen Vorentwicklungen fuß end, kam Kandinsky dazu, die Fesseln des Gegenstandes gä nzlich abzustreifen. Dabei darf das Beispiel der Musik nicht in Vergessenheit geraten. Musik war seit langem verstä ndlich als unmittelbare, d.h. nicht durch Gegenstä nde vermittelte, Versinnlichung gedanklicher, geistiger Vorstellungen. Nicht nur, dass in abstrakter Malerei hä ufig auf musikalische Ausdrü cke bei der Beschreibung auch durch die Kü nstler selbst zurü ckgegriffen wird („Rhythmus", „Klang", „kontrapunktische Durcharbeitung" ), auch in der den Bildern nacheilenden theoretischen Diskussion ist immer wieder auf die Musik hingewiesen worden.

Kandinsky hatte ein spä tes Bild von Claude Monet, die „Heuhaufen" gesehen und ihm war klar geworden, dass das Wie der Malerei vom Was, vom Gegenstand, sich lö sen konnte, Anfangs schwankte er noch zwischen Ablehnung und Bewunderung. Spä ter hö rte er Richard Wagners Lohengrin-Ouverture und hatte bei dieser gewaltigen Musik Farbvorstellungen. Diese Schlü sselerlebnisse waren zwar nicht entscheidend, aber dennoch grundlegend. Es kam die Begegnung mit der Kunst Rembrandts hinzu, in dessen Spä twerk sich ja auch die Farbe zu verselbstä ndigen beginnt; und das Kennenlernen russischer Volkskunst, deren Strenge und Einfachheit ihn die Notwendigkeit des „Innewerdens", des „in-das-Bild-Hineingehens" lehrte.

Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass in der Zeit vor 1910 sich das Weltbild stark zu wandeln begann. Fü r den wachen und empfindsamen Menschen konnten die Dinge der Welt nicht mehr so festgefü gt und klar umrissen erscheinen wie frü her, da z.B. in der Diskussion um den Aufbau der Materie das Atom und sein Bau neu beschrieben wurden (Atommodell von Niels Bohr: 1913). Schon 1908 hatte Rutherford entdeckt, dass es eine atomare Struktur geben muß te.

1910 entstand das erste wirklich abstrakte Bild: Kandinskys Aquarell „1e aquarelle abstraite", ein 50 x 65 cm groß es Wasserfarbenbild. Die Gegenstandslosigkeit in Kandinskys Kunst kommt also nicht zuerst in Gemä lden auf, sondern in einer weniger aufwendigen, in der Hierarchie der Gattungen niedriger stehenden Malerei: im Aquarell. Man sieht nur mehrere nervö s wirkende Formen und Farben, die jeden gegenstä ndlichen Zusammenhang vermissen lassen. Schon 1911 tauchen die ersten abstrakten Ö lbilder auf - das frü heste ist das 1911 entstandene Bild „Improvisation 22", Grö ß e 120 x 140 cm - ein Bild, das verschollen ist aber seinerzeit in beiden Ausstellungen des „Blauen Reiters" zu sehen war. Kandinsky war zu diesen Bildern durch die Landschaftsmalerei gekommen. Seit 1908 hatte Kandinsky vom Naturgegenstand immer stä rker abgesehen. Er ersetzt ihn durch Farben und Formen, die er aus dem Gesehenen ableitet. Diese werden immer selbstä ndiger und immer stä rker durch den Ausdruck bestimmt. Seit 1910 vereinfachter alles - nicht nur die Zahl der Elemente wird geringer, auch wird jedes einzelne Element stark auf seine geometrische Grundform hin vereinfacht. Was sich im Bilde an Farben und Formen findet, ist nur noch ein Hinweis auf die Empfindungswelt des Malers, ohne eine Verknü pfung mit der Auß enwelt.

Dass die Landschaftsmalerei bei der Entwicklung der gegenstandslosen Malerei „Pate" gestanden hat, ist insofern naheliegend, als die Landschaft selbst sich dem Auge des Betrachters ja eher schon wie eine Art Komposition verschiedenfarbiger geometrischer Formen darbietet als etwa ein Innenraum. Felder in braun, gelb und grü n mit ihren rechteckigen Begrenzungen, Berge als Dreiecke, Flü sse als Schlangenlinien - all das sind Abstraktionen, die nachvollziehbar sind und ja auch in der Zeit unmittelbar vor der Entwicklung der gegenstandslosen Malerei schon in der Kunst vollzogen waren. Dabei war allerdings das Thema „Landschaft" nicht aufgegeben worden. Vielleicht ist die Analogie zur Entdeckung der feineren Struktur der Materie, die oben kurz angesprochen wurde, tragfä hig: So wie in der Naturwissenschaft sich die Forscher mit der Feinstruktur der Materie vertraut machten, so begannen die Kü nstler, vor allem Kandinsky, sich der inneren Struktur der Malerei zu nä hern, und die weitere Entwicklung der abstrakten Kunst kann der weiteren Entwicklung der Atomphysik angeglichen werden. Denn die Entdeckung der immer kleineren Materiebauteilchen ist durchaus vergleichbar der „Entdeckung" der nachfolgenden Generationen von abstrakten Kü nstlern, dass die Dinge, die in Bildern Kandinskys Teile waren, selbst kü nstlerisch untersucht und eigenes Thema werden konnten.

Was Kandinsky an den „Heuhaufen" so befremdete, war die Auflö sung des Gegenstandes in ein flimmerndes Spiel von Farben, bei fast gä nzlicher Aufgabe einer festen Umriß linie. Durfte ein Maler, so fragte sich Kandinsky, das Was seiner Malerei, den Gegenstand, so sehr zugunsten des Wie, der Art und Weise seiner Wiedergabe, zurü ckdrä ngen? Die Entscheidung zur bejahenden Antwort auf diese Frage traf Kandinsky einige Zeit spä ter, nachdem er eines Tages (Datum und Jahr sind leider nicht ü berliefert) nach einem langen Tag kü nstlerischer Arbeit auf seiner Tü rschwelle eine Art visionä res Erlebnis hatte, das ihn ein gegenstandloses Bild sehen ließ, in welchem alle Stimmungen und Gefü hle der letzten Zeit voll zum Ausdruck kamen. Als er am nä chsten Morgen dieses Bild „richtig", d.h. mit dazugehö rigen Gegenstä nden malen wollte, war der Zauber des Bildes verschwunden - die Gegenstä nde hatten ihn vernichtet.

So faß te er Mut, die Gegenstä nde, die der Wirkung nur hinderlich waren, aus dem Bilde zu verbannen. Die Frage aber, was an ihre Stelle treten sollte, war noch nicht beantwortet. Kandinsky hat spä ter in seinen Schriften, insbesondere in dem 1926 erschienenen Buch „Punkt und Linie zu Flä che", diese Frage zu beantworten versucht. Um 1910 haben eine Reihe von Kü nstlern gegenstandsfreie Entwü rfe ausprobiert, aber nur Kandinsky hat es vermocht, die gegenstandsfreie, die „absolute Malerei" als ein Mittel zur geistigen Aussage zu entwickeln. Seine Schriften sind eine systematische Einfü hrung in sein Werk - denn da Kandinsky Kü nstler war und nicht objektiver Wissenschaftler, sind seine Ü berlegungen natü rlich im wesentlichen auf sein Werk gerichtet.

Eine der Hauptfragen war, was an die Stelle der Gegensä tze treten sollte. Kandinskys Antwort: Die „innere Notwendigkeit". Dieser Begriff spielt bei Kandinsky und spä teren abstrakten Kü nstlern eine Schlü sselrolle. Hinzu tritt das Kompositionsgesetz der Bilder. Das zerfä llt in die dem rationalen Denken nicht zugä ngliche Intuition, die verstandesmä ß ig gelenkte kü nstlerische Analyse der Kunstmittel selbst (Farbe, Linie, Flä che) und schließ lich ihre Zusammenfü hrung in der wirksamen „Konstruktion" des Werkes, das die „innere Vibration" mitteilen soll.

Kandinsky hat sich ausdrü cklich dagegen gewehrt, hierin nur eine malerische Nachahmung der Musik zu sehen oder nur den Versuch der Ü bermittlung persö nlicher Gefü hlszustä nde. Natü rlich sind beide Gesichtspunkte wichtig, aber eben nicht erschö pfend. Kandinsky strebte an, Wirkungen zu erzielen, die nur durch Malerei und durch nichts anderes sonst erzielbar waren.

Kandinsky versuchte dann, die Analyse der Kunstmittel nicht nur im Bilde, sondern auch theoretisch-systematisch voranzutreiben. Seine Ergebnisse sind natü rlich nicht von der allgemeinen Gü ltigkeit von Naturgesetzen. Sie gehen aber weit zurü ck auf den Erfahrungsschatz der Kunstgeschichte und auf gleichsam automatische Bewertungen sichtbarer Dinge, die unser menschliches Wahrnehmungssystem vollzieht. Das Dreieck mit spitzem Winkel verrä t, so Kandinsky, Intensitä t und Aktivitä t, zumal wenn es sich mit der Farbe gelb verbindet. Der rechte Winkel oder das Quadrat entsprechen Festigkeit, Selbstbeherrschung und Gleichgewicht, zumal wenn eine Verbindung mit der Farbe Rot vorhanden ist. Die horizontale Linie, zumal in Verbindung mit Schwarz entspricht „kalter" Ruhe, die Vertikale (in Verbindung mit Weiß ) der „warmen" Ruhe.

Aus diesen einfachsten Elementen - wir haben hier nur wenige ausgewä hlt - lä ß t sich eine endlose Zahl von aussagefä higen Kombinationen erstellen. Diese kö nnen nach recht systematischen Kriterien auf ihre Wirkung hin untersucht werden: auf Schwere, Wä rme, Kä lte, Leichtigkeit in der Wirkung auf den Betrachter. Dass subjektive Willkü r den Kü nstler leitet, kann nur durch die Ausrichtung an der „inneren Notwendigkeit" verhindert werden, die an die Stelle herkö mmlicher Kunstregeln tritt.

In seiner Schrift „Ü ber das Geistige in der Kunst" (erschienen in Mü nchen 1912) hat Kandinsky dargelegt, aus welchen Quellen sich diese „innere Notwendigkeit" speist:

1. hat jeder Kü nstler, als Schö pfer, das ihm Eigene zum Ausdruck zu bringen,

2. hat jeder Kü nstler, als Kind seiner Epoche, das dieser Epoche Eigene zum Ausdruck zu bringen und

3. hat jeder Kü nstler, als Diener der Kunst, das der Kunst Eigene zum Ausdruck zu bringen.

So geleitet wollte Kandinsky sich des „Ä uß eren" entledigen, um ganz auf das „Innere" der Kunst zusteuern zu kö nnen. Betrachten wir eines der frü hen gegenstandslosen Werke Kandinskys - das Bild „Schwarze Linien" aus dem Jahre 1913.

Gegenstä nde sind nicht zu erkennen. Vor einem hellen Hintergrund sind leuchtend farbige, unterschiedlich scharf begrenzte Formen zu erkennen, farbige Flä chen und Linien, und der Titel des Bildes geht auf wenige dü nne schwarze Striche zurü ck. Die farbigen Formen sind aber nicht gleichmä ß ig ü ber das Bild verstreut, sondern verschieden gewichtet. Die rundlichen Flä chenformen bilden einen Halbkreis, dessen Scheitelpunkt nach rechts unten gerichtet ist, abgestü tzt durch eine rote Form in der Mitte unten. Dadurch wird das Zentrum des Bildes betont. Insgesamt bleibt eine Art offener und rä umlicher Charakter des Bildes gewahrt. Die Bildflä che ist nicht zugesetzt mit Formen, sondern diese schweben als transparent, durchlä ssig wirkende klar vor dem weiß lichen Hintergrund und stellen so eine durch Farbe hervorgerufene Rä umlichkeit dar. Der Halbkreis ist ü berwiegend in Rot gehalten und zeigt groß e Formen. Das Zentrum ist ein kleines grü nes Dreieck. Rechts ist das Bild durch einen rö tlichen Streifen begrenzt, links offen. Schon die knappe Vergewisserung dessen, was auf dem Bilde zu sehen ist, gibt reichen Aufschluß ü ber die innere Anlage: Wir stehen einem abwechslungsreichen Spiel von Gegensä tzen gegenü ber:

Kreis / rundlich / rö tlich / groß gegen Dreieck / spitz / grü nlich / klein,

rechts / geschlossen gegen links / offen, Flä chen gegen Linien.

Die Liste ließ e sich weiter verlä ngern. Man kann dann auf Grund von Kandinskys Ä uß erungen den rechten Rand als Gebä ude-Entsprechung sehen, den unteren Bildrand als Erde, den oberen als Himmel und den linken Bildrand als Ferne. Zwischen Haus und Ferne liegt dann der wesentliche Teil des Bildes, den man als Garten interpretieren kann. Und in der Tat geht das Bild „Schwarze Linien" auf einige Arbeiten zurü ck, die das Thema des „Liebesgartens" untersuchen.

Man mag - auch in Erinnerung dessen, was ü ber Buchheisters „Opus 25 a" gesagt worden ist - daran erkennen, dass die frü he „absolute" Malerei gar nicht in strengem Sinne „absolut" war. Sie hatte eine, wenn auch ü beraus dü nne, Verbindung zu gegenstä ndlichen Vorstellungen. Auch spä terhin hat ein Teil der nicht-gegenstä ndlichen Kunst stets die Verbindung zu bestimmten Vorstellungswelten gesucht, und nur eine Minderheit abstrakter Kü nstler hat radikal mit solchen Vorstellungen aufgerä umt.

Um verschiedene Sichtweisen kennenzulernen, sollen nun einige Hauptbeispiele kurz besprochen werden, denn die unterschiedlichen Abstraktionsweisen bzw. die unterschiedlichen Arten der abstrakten Malerei (und um die geht es hier im wesentlichen) bedingen unterschiedliche Bü ndelungen der Aufmerksamkeit.

Mit dem Bild Buchheisters und Kandinskys sind schon zwei unterschiedliche Modelle vorgestellt worden. Mit Piet Mondrian begegnen wir einem Kü nstler, bei dem der Wunsch nach Gesetzmä ß igkeit ü beraus stark war. Mondrians Hinwendung zur abstrakten Kunst vollzog sich ä hnlich wie bei Kandinsky: durch die Verminderung des Gegenstä ndlichen durch die Hinfü hrung zur geometrischen Form. Seine Werke zeigen diesen Prozeß Schritt fü r Schritt auf. Mondrian gelangte zu einer strengen, konstruktiven abstrakten Kunst, die er in seinem Aufsatz von 1926 „Der Mensch, die Straß e, die Stadt" vorgestellt hat:

1. Das bildnerische Mittel soll die Flä che sein, bzw. das rechtwinklige Prisma in den Primä rfarben (Rot, Blau, Gelb) und den Nicht-Farben (Weiß, Schwarz, Grau).

2. Notwendig ist die Gleichgewichtigkeit der bildnerischen Mittel; verschieden in Dimension und Farbe sind sie doch von gleicher Wertigkeit. Gleichgewicht besteht im allgemeinen zwischen einer groß en Flä che von Nicht-Farbe und einer kleineren Flä che von Farbe.

3. Die im bildnerischen Mittel enthaltene Dualitä t der Gegeneinandersetzung wird ebenso in der Komposition gefordert.

4. Das konstante Gleichgewicht wird erzielt durch Beziehungen der Entgegensetzungen. Es wird durch die Gerade (Grenze des bildnerischen Mittels) und ihren Hauptkontrast (den rechten Winkel) ausgedrü ckt.

5. Das Gleichgewicht, das die bildnerischen Mittel neutralisiert und aufhebt, wird hergestellt durch die proportionalen Beziehungen, die zueinander stehen, und die den lebendigen Rhythmus erzeugen."

Mondrian hatte ein geradezu leidenschaftliches Verlangen nach Reinheit, die ihn zu einer Form des Ausdrucks fü hrte, die in krassem Gegensatz zur gesamten europä ischen Tradition stand. Er betonte besonders die Maß verhä ltnisse, die Proportionen, die zu einer neuen Ä sthetik fü hren sollten, die nur auf reinen Verhä ltnissen, reinen Farben und reinen Linien fuß en sollte. Ä hnlich wie Kü nstler der Renaissance, die in universalen, allgemeingü ltigen Proportionsgesetzen das Gö ttliche fassen wollten, will auch Mondrian in den reinen Proportionen das Gö ttliche sehen. Alle Teile seiner Bilder werden von diesem Streben nach Klarheit und Reinheit beherrscht.

Nicht nur mit den Sinnen erfaß bar, sondern auch mit dem Lineal nachmeß bar stehen alle Teile des Bildes in dem Gleichgewicht, das Mondrian in seinen 5 Gesetzen gefordert hat. Die Bildflä che ist ganz als Flä che aufgefaß t. Es gibt nur rechte Winkel. Mondrian hat fanatisch gegen alle anderen Winkel gekä mpft und sich auch mit anderen Kü nstlern seiner Richtung, die, wie z.B. Theo van Doesburg, Diagonale und damit spitze und stumpfe Winkel zuließ en, geradezu verfeindet. Die Flä chen sind ihrer Grö ß e und der ihnen zugeordneten Farbe nach ins Gleichgewicht gebracht.

Eine besondere Art gegenstandloser Gestaltung ist durch Kasimir Malevich hervorgebracht worden, der wohl der erste war, der die Abstraktion bis zur Totalitä t getrieben hat. Malevich gelang es, seine Bilder vö llig von gegenstä ndlichen und vergegenstä ndlichenden Elementen zu reinigen. Er nannte seine Kunst „Suprematismus", d.h., dass es sich um eine Kunst handelte, die vollkommen ohne Vergleiche und Kompromisse auskam. Er verwendete nur ganz einfache geometrische Formen, in ganz sparsamer Weise. Er wollte so jene Empfindung mit dem Bilde hervorrufen, die sein Thema war. Jedoch war Malevich Mystiker, und die suprematistisch-abstrakte Gestaltung steht im Zusammenhang mit dem Ausdruck mystischer Eingebungen. Sein berü hmtestes Bild, das „Schwarze Quadrat", zeigt nichts weiter als auf einer recht kleinen Leinwand ein vollflä chig ausgemaltes schwarzes Quadrat. Schaut man genauer hin, ist es eigentlich kein Quadrat, denn es ist ungenau gezeichnet, mathematisch gesehen nur ein Rechteck, das fast quadratisch ist. Um die Idee des Bildes darzustellen, bedurfte es nicht des exakten Quadrates. Die Vorstellung „Schwarzes Quadrat", die durch die auf der Leinwand zu sehende Form hervorgerufen wird, reicht aus. Weiter konnte man in der Abstraktion kaum gehen. Er versuchte so, den Raum zu entgrenzen, so dass der Betrachter nur noch die Zeichen, die der Maler setzte, zur Orientierung hatte. Dabei hob er stark auf das Gefü hl ab, das die Geometrien seiner anderen Bilder bestimmt. Die Formen werden nur durch das Gefü hl belebt, so dass das Thema der Bilder gewissermaß en das Erlebnis des Betrachters vor dem Bilde ist. Das Gefü hl soll aber den Maler (und damit auch den Betrachter) in unmittelbaren Kontakt mit dem Unendlichen setzen. Malevichs Kunst hat daher, wie die Mondnans auch, einen religiö sen Zug. Bei Malevichs suprematistischen Kompositionen ist in der Tat keine bildliche Rä umlichkeit anzutreffen. Der Betrachter steht einem farblich nicht bearbeiteten und durchgestalteten Hintergrund gegenü ber, und den Bildzeichen, die ihn zur optischen und gefü hlsmä ß igen Anteilnahme auffordern. Anders als bei Mondrian aber, der durch das Festhalten an der Senkrechten und der Waagerechten eine bestimmte Ruhe und Bewegungsarmut in seinen Bildern hat, streben Malevichs Formen danach, als bewegt gesehen zu werden.

Die Besprechung dieser verschiedenen Modelle der Gestaltungs- und Sehweisen abstrakter Kunst weisen darauf hin, dass es mö glich ist, verschiedene Grundtendenzen der abstrakten Kunst festzustellen. Eine dieser Grundentscheidungen ü ber das Wie der abstrakten Gestaltung ist die, ob eher freie, wenig begrenzte Formen zu wä hlen sind oder im Gegensatz dazu, streng umrissene geometrische Formen, und wie diese im Bilde zusammengefugt werden sollen. Entscheidet der Kü nstler sich, wie z.B. Mondrian oder Malevich, fü r die geometrischen Formen, die dann auch noch nach strengen Regeln (wie bei Mondrian) zum Bild gefugt werden, dann kann man von einer konstruktivistischen Abstraktion sprechen. Die Wurzeln der konstruktivistischen Abstraktion liegen im Kubismus, dessen strenge Lehren auf viele Konstruktivisten nachhaltigen Einfluß ausgeü bt haben.

Mit einem Bild von Carl Buchheister, der „Diagonalkomposition Schwarz-Rot" aus dem Jahre 1934 haben wir ein Beispiel fü r eine konstruktivistische Abstraktion. Das Bild versucht, mit sparsamsten Mitteln, nä mlich nur einer Form und drei Farben, eine stimmige Komposition aufzubauen. Der Bildhintergrund ist weiß lich, eine stark fallende Diagonale (von links oben nach rechts unten) besteht aus einem etwas breiteren roten und einem etwas schmaleren schwarzen Streifen, die sich berü hren. Im oberen Drittel der fallenden Diagonale entspringt ein dicker schwarzer Diagonalbalken, der steigend nach rechts oben geht. Das Bild ist kompromiß los flä chig. Die Fortsetzung der Diagonalen ü ber den Bildrand hinaus ist denkbar. Das, was bei Mondrian unbewegt ist, wird hier bewegt. Die Bildflä che wird in andere Formen geteilt: Links unten ein Dreieck, rechts unten ein Viereck, oben ein Fü nfeck. Die Komposition macht so genau bestimmte Kompositionszusammenhä nge und Konstruktionsfolgen deutlich.

Die Komposition ist aber nicht nach festgelegten mathematischen Gesetzen oder Regeln ausgefü hrt, vielmehr ist sie spontan bestimmt, Ergebnis einer nicht vorausberechneten, sondern einer aus dem Moment kommenden Entscheidung. Im Gegensatz dazu stehen konstruktivistische Abstraktionen, die Ergebnis vorherbestimmter, mathematisch festgelegter Bedingungen sind. So z.B. Theo van Doesburgs letztes Gemä lde, aus dem Jahre 1930. Es heiß t „Arithmetische Komposition", und der Titel verrä t schon, dass die Formen des Bildes nicht spontan gefunden sind, sondern sich auf mathematische Gesetze beziehen. In der Tat gehen die vier Quadrate in geometrischer Progression auseinander hervor: In jedem der vier Quadrate befindet sich ein schwarzes Quadrat, das um 45° gekippt ist und dessen Flä cheninhalt 25% des Grundquadrats beträ gt. Die Anordnung ist so gewä hlt, dass die Quadrate alle auf der Diagonalen der Grundquadrate liegen. Dadurch kommt eine bewegte Wirkung in das Bild. Die Farbskala ist ganz sparsam: nur weiß, grau und schwarz. Ihre Zurü ckhaltung unterstreicht die Strenge und Grö ß e des Entwurfs. Die Wirkung des Bildes beruht hier ganz auf den durchmathematisierten Strukturen, die in ihrer logischen Abfolge Verhä ltnisse von dauernder Gü ltigkeit darstellen. Das Bild richtet sich so gleichzeitig an den analytischen Verstand und an das Gefü hl, da die Folgen der Diagonalkomposition ä sthetische Wirkungen ausü ben. Der groß e Reiz dieses so scheinbar vö llig logisch erfaß baren Bildes liegt auch darin begrü ndet, dass die mathematisch-rationale Komposition durch ihren ä sthetischen Wert hinfü hrt in Bereiche, die mit den Mitteln, die das Bild hervorgebracht haben, nicht mehr erfaß bar sind.

Einer anderen Ausdrucksform im Abstrakten begegnen wir in Bildern, die zeichenhafte Formen und Gebilde aufweisen, die sie auf durchaus verschiedene Weise im Bildfeld ordnen kö nnen. Ein Maler, der ä hnlich wie Buchheister Farben und Formen eher gleichfö rmig ü ber die ganze Bildflä che verteilt, ohne dass sich ein Schwerpunkt bildet, ist der Italiener Guiseppe Capogrossi. In seinen fü r ihn typischen Werken benutzt er sehr ä hnliche Zeichen, die vielleicht an die Form einer gespreizten Hand, an eine Tierpfote oder eine Art von Blü te erinnern. Trotz dieses mö glichen Erinnerungswertes sind diese Zeichen vö llig frei von jeder echten figurativen Deutung. Im Gegensatz zu anderen Bildzeichen, wie z.B. den ä gyptischen Hieroglyphen, frü hen chinesischen Bildzeichen oder auch Zeichen aus prä historischer Zeit, haben Capogrossis Bildzeichen nur bildnerisch-formalen Wert, stehen nicht ein fü r eine bestimmte Bedeutung. Das macht sie aber nicht weniger poetisch - im Gegenteil: Der stä ndige Widerspruch zwischen der Zeichenhaftigkeit und dem absoluten Fehlen einer eindeutig zuzuordnenden Bedeutung ist die Quelle poetischer Spannung, die eine Art magische Faszination hervorruft.

Die Zeichen sind recht gleichfö rmig, fü r das Bild ist daher sehr entscheidend, wie sie auf der Flä che angeordnet sind. So wie Noten auf einem Notenblatt wirken diese rä tselhaften Zeichen, die in der Harmonie ihrer Anordnung von einer durch ordnenden Willen gezä hmten Leidenschaft sprechen. Diese Art abstrakter Malerei hat sowohl etwas Poetisches wie auch etwas Magisches an sich. Solche und ä hnliche Bilder kö nnen unter dem Begriff der magisch-poetischen Abstraktion zusammengebracht werden.

Dazu gehö ren auch die Bilder von Willi Baumeister, der meist Bilder malt, die ein Zentrum oder eine zentrale Figur haben, dessen Kompositionen sich nur selten gleichfö rmig ü ber das ganze Bildfeld erstrecken, sondern starke Gewichtungen aufweisen.

Auch Baumeister arbeitet teilweise mit an Hieroglyphen oder an sumerische Rollsiegel erinnernden Zeichen. Die Formerfanrungen, die er an solchen Kulturzeugnissen gemacht hat, sind in seine Bildwelt eingeflossen. Baumeister arbeitete immer sehr instinktiv und hat Formen hervorgebracht, die die Kraft archaischer Zeichen haben. Die Zeichen sind wiederum rein persö nlicher Ausdruck, sie stehen nicht fü r festgelegte Bedeutungen ein. Sie kö nnen angesprochen werden als Ergebnisse des Wachtraumes eines schö pferischen Geistes, der Formen verwendet, die ihm selbst unbekannt sind. In seinen Bildtiteln tauchen bisweilen Hinweise auf die Quellen seiner Vorstellungen und Gestaltungskraft auf: In Titeln wie „Siduri", „Marduk" und „Chamach" leben mesopotamische Gö tter weiter.

Bei Baumeister wird auch die malerische Behandlung des Materials besonders wichtig. Er ritzt die Farbe, trä gt Sand auf, schabt, zieht mit Kä mmen Furchen in den Leib der Farbe und dergleichen mehr, so dass die Bilder anmuten wie Ergebnisse eines geheimen Rituals. Aus den in ihnen verborgenen Geheimnissen ziehen sie ihre poetische Kraft.

Der abstrakte Expressionismus ist die Form der abstrakten Kunst, unter die wohl die meisten abstrakten Maler fallen, wenn man solche Zuordnungen macht. Abstrakter Expressionismus: das heiß t, dass es sich um abstrakte Bilder handelt, die das Expressive, das Ausdruckhafte, das emotional stark Bewegte in den Vordergrund stellen.

Die stü rmische Entwicklung der abstrakten Kunst hat viele verschiedene Wege gefunden, solche Entwü rfe zu verwirklichen. Eine Art dieser Kunst ist die Action Painting oder aktionistische Malerei, die ihre Erfü llung darin findet, dass der Akt des Malens, die kü nstlerische Handlung stattfindet. Die daraus entstehenden Bilder sind nicht mehr der Hauptzweck, sondern mehr die Spur, das stumme Zeugnis der kü nstlerischen Aktion. Wichtig ist das Malen des Bildes, nicht das Bild selbst. Hier liegt ein ganz grundlegend anderer Begriff des Bildes und ein grundlegend anderer Kunstanspruch vor, unter dem die Produkte zunä chst gesehen werden mü ssen.

Bedeutendster Vertreter einer reinen aktionistischen Malerei ist Jackson Pollock. Der Amerikaner hat in extremer Weise das Bild in der Wichtigkeit herabgesetzt. In seinen sogenannten „Drippings" hat er sogar den Akt des Malens aus der Kontrolle des Kü nstlers gegeben. Pollock hat groß e Leinwä nde auf den Boden gelegt und dann Blechdosen, in denen Farbe war, mit durchlö chertem Boden an einem Faden darü ber hin- und herbaumeln lassen. Die Farbe tropfte auf die Leinwand und markierte die Spuren des Pendelweges. Diese Leinwä nde hat er dann in handliche Formate geschnitten und verkauft.

Das bedeutet, dass fü r ihn jedes Teil des Bildes gleich wichtig war, dass es keine ä sthetischen oder gar bedeutungsmä ß igen Zentren gab. Da jeder Quadratzentimeter gleich wichtig war, war es auch egal, ob die Leinwand in zwei, zwanzig oder tausend Stü cke zerschnitten wurde: jedes Stü ck war Teil der Kunst-Aktion und damit genauso Bild wie jedes andere Teil davon. Diese Haltung hat zu dem Begriff des „All-Over" gefü hrt, der bedeutet, dass ü ber alles, ü ber die ganze Flä che sich die Malerei gleichmä ß ig und gleich wichtig verteilt.

Andere aktionistische Maler haben das Bild und seine formalen Forderungen in Bezug auf Ausgewogenheit und Komposition anerkannt. Zu ihnen gehö rte der Franzose Georges Mathieu, der oft ö ffentlich seine Werke schuf. Er sprang gegen die vorbereitete Leinwand und verarbeitete die Farbe direkt aus der Tube. Ihm kam es dabei besonders auf die Schnelligkeit an, mit der die malerische Handlung ausgefü hrt wurde. Es sollte eine Malerei des reinen Ausdrucks, des spontanen Handelns sein, unbeeinfluß t vom Nachdenken. Daher die Schnelligkeit: Zeit zum Nachdenken sollte nicht bleiben.

Er verband damit durchaus Vorstellungen, wie sie z.B. David in seinem „Horatierschwur" formuliert hat. Mathieus Bilder sind oft eine besondere Art von „Historienbildern". Er hat monumentale Kompositionen gemacht, die Titel tragen wie z.B „Die Schlacht von Bowines". In denen wird ein Bild nicht der Schlacht selbst gegeben, sondern ein Bild der aufeinanderprallenden Gefü hle und Ideologien, der Ansprü che und Forderungen, der kollektiven Bewegungen und politischen Zielvorstellungen.

Ohne solche historischen Ansprü che gibt es die auf Schnelligkeit und explosionsartige Gefü hlsentladung abzielende Aktionskunst auch. Der deutsche Maler K. 0. Gö tz z.B. hat seinen Malvorgang wie folgt beschrieben (gekü rzt: „Mein Malvorgang ist dreiteilig. Ich schreibe die erste Bildfaktur schnell mit flü ssiger Farbe dunkel auf hellen Grund. Die entstandene dunkle Faktur auf hellem Grund wirkt beim Betrachten gemä ß dem Prinzip von „Muster und Grund". Beide haben Dingcharakter und sind durch Projektion aufeinander bezogen. An dieser Stelle setzt bei mir der zweite Malakt ein. Mit einem Gummirakel, dessen Breite der Pinselbreite entspricht, wird in das noch nasse Bild hineingeschrieben. Helles ü berlagert nun Dunkles, Dunkles wird fortgeschleudert auf Helles. Zum dritten und letzten Malakt nehme ich einen leeren Pinsel und schreibe in das noch nasse Bild so hinein, dass Passagen entstehen zwischen dunklen und hellen Partien. Dadurch wird „oben" mit „unten" verbunden in einer Weise, dass illusionistische Effekte ad absurdum gefü hrt werden. Die Teile sind derart aufeinander bezogen, dass sie nicht einzeln, sondern nur durch ihre Relationen zur Umgebung beschrieben werden kö nnen. Das klassische Prinzip von Muster und Grund ist auf diese Bildfaktur nicht mehr anwendbar. Kompositionsmethoden im klassischen Sinn sind fü r den Aufbau meiner Bilder nicht anwendbar. Ich brauche Monate oder gar Jahre um zu einem neuen Bildschema zu kommen. Meine sogenannten „Wirbelbilder" zeichnen sich dadurch aus, dass sie in 3 bis 4 Sekunden gemalt werden mü ssen, wä hrend zur Entwicklung dieses Typs 3 bis 4 Jahre gebraucht wurden. Zwischen den drei Malakten wird das Entstandene nicht korrigiert. Anerkennung oder Auslö schung ist die Alternative. Auf diese Weise werden manchmal 15 bis 20 Bilder gemalt und wieder zerstö rt, ehe die letzte, zufriedenstellende Version entsteht. Durch Schnelligkeit opfere ich einen Teil meiner Schreibkontrolle. Ausschlaggebend fü r das fertige Bild ist einzig und allein die abschließ ende Kontrolle."

Gö tz versucht also mö glichst viel Unkontrolliertes sich im Bilde fixieren zu lassen. Dem Betrachter bleibt es, diesen explosiven Aktionen durch ihre Spur, das Bild, nachzuspuren und sie in vermittelter Weise nachzuerleben.

Expressive Abstraktion muß sich aber nicht unbedingt in aktionistischer Malerei ä uß ern. Neben Jackson Pollock ist Willem de Kooning einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen avantgardistischen Kunst und hat viele andere beeinfluß t. De Kooning hat in den fü r ihn typischen Werken zu bruchstuckhaften, frei angelegten Farbformen gefunden. Ohne unbedingt aktionistische Malerei zu sein, sind sie doch schnelle „geschriebene" Bilder, die einen Augenblick des kü nstlerischen Ringens um Selbstausdruck dokumentieren. Die traditionellen Absichten von Bildern, Gegenstande abzubilden, Wunschvorstellungen zu zeigen oder eine Komposition nach festen Regeln auszufü hren, gelten hier nicht mehr. Vielmehr zeigt sich der Kü nstler als ein Virtuose, der vom Betrachter Beifall dafü r erwartet, dass er sich spontan und schnell variantenreich ä uß ern kann: Das Momentane und Intensive steht hier hö her im Kurs als das ausdauernd Durchgearbeitete.

Expressive Abstraktion kann auch der Oberbegriff von Ernst Wilhelm Nays Bemü hungen sein. Nay hat, mehr als andere, die Farbe und ihre Wirkungen und Eigenschaften in seine Kunst einbezogen. Er versucht, ein reines, von allem Wiedererkennen, Wissen und Denken befreites Sehen zu entfalten. Was in seinen Bildern kü nstlerisch durchgeformt wird, ist die Zusammenstellung und Aufeinander-Bezogenheit der Farben. Diese haben, auch auß erhalb eines Bildes, fü r uns immer einen Gefü hlswert. Durch den Zusammenklang mit der Gestaltungsweise entfaltet sich eine Wirkung des Bildes, die das Bild als Ganzes umfaß t. Es ist nicht nur der Pinselstrich oder nur die Farbe, die wirkt, sondern immer beide zusammen. Das Bild ist aber nicht nur Spur des Entstehungsaktes, sondern durchaus sein Ziel. Das Wesentliche ist hier der gleichsam musikalische Akkord der Farben, derauf den Betrachter psychische Wirkung hat und ihn mit dem Bild in Austausch treten lä ß t. Die Farben sind Flä chenfarben, unmittelbare Gestaltwerte, die sich nicht auf andere Dinge beziehen. Sie wirken aber im Bilde und auf den Betrachter auch in rä umlicherweise dadurch, dass sie in ihrem Miteinander und Gegeneinander als Voreinander und Hintereinander gesehen werden. Sie sind also Raumenergien. Alles dies bezieht sich auch auf das Bild als Ganzes und wirkt gleichzeitig. Die Bilder beanspruchen unmittelbar den Betrachter und seine ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit. Es gibt keine auß erbildlichen Dinge, die ihn vom Pfad des sinnlichen Erlebens abbringen kö nnen.

Mit solcher Malerei wird der Ü bergang zur „chromatischen" Malerei angezeigt, d.h. abstrakte Kunst, deren Hauptthema die Farbe ist. Mit Josef Albers und seiner riesigen Bilderserie „Hommage an das Quadrat" ist dafü r ein grundlegendes Beispiel vorhanden. Die Bilder gleichen sich sehr - ineinandergeschachtelte aber nicht konzentrische Quadrate, jeweils von anderer Farbe. Albers hat so in einer riesenhaften Versuchsserie die Farben und ihre Einwirkungen aufeinander untersucht. Aber es geht dabei auch um Probleme des Sehens und des Sichtbaren in vereinfachten geometrischen Bildordnungen. Die einfache, sich wiederholende Bildform stellt die sich wandelnden Teile, nä mlich die Farben, immer unter die gleichen Bedingungen - anders als das bei Nay der Fall ist, wo jedes Bild eine neue Besonderheit im Ganzen darstellt. Unter diesen gleichen Ausgangsbedingungen kann dann zu scharf umrissenen Aussagen ü ber Wesen und Wirkung der Farbe Einigkeit erzielt werden. Diese Aussagen haben dann aber einen scharf umrissenen Geltungsbereich - sie lassen sich nur schwer verallgemeinern.


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