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Romanische und gotische Kunst



«Wir gehen jetzt in den Raum des Mittelalters.» Als sich alle dort versammelt hatten, fuhr er fort.

«Am Anfang der Kunstentwicklung im Mittelalter bezog sich > Stil< auf die schlichte Anweisung, aus der Fü lle der vergangenen Kunstproduktion - und Fü lle heiß t lateinisch > copia< - das Richtige herauszusuchen und zu > kopieren<. Auf diese Weise entstand die erste gesamteuropä ische Kunstsprache, die romanische Kunst. Sie setzt um das Jahr 1000 ein und reicht bis ins 13. Jahrhundert. Ihre groß en Monumente bilden die Kirchenbauten. Ihre besonderen Kennzeichen sind die Rundbö gen, die Gewä ndefiguren und die halbrunden Vertiefungen ü ber den Tü ren, in denen Figurenreliefs, in konzentrischen Halbkreisen angebracht, die sogenannten Tympana bilden. Nebenbei gesagt: Das Wort tympanon leitet sich von dem griechischen Wort fü r Tamburin her und bezeichnet auch das Trommelfell. Die Grundfiguren der Romanik sind das Quadrat und der Halbkreis. Dabei entsprechen meist zwei quadratische Kreuzgewö lbe eines Seitenschiffs einem quadratischen Kreuzgewö lbe des Mittelschiffs. Das Quadrat wiederholt sich dann in den sogenannten Wü rfelkapitellen, den oberen Abschlü ssen der Rundsä ulen, wie in diesem hier.» Nachdem wir gehö rig gestaunt hatten, fuhr er fort:

«Ab 1150 wurde der romanische Stil von der Gotik abgelö st. Ihre Wiege ist die Ile de France, also die Gegend um Paris. Anders als in der Romanik wurde der Innenraum einer Kirche nicht mehr als Summe von verschiedenen Rä umen, sondern als Raumeinheit verstanden. Die Kirchen werden hö her, und den erhö hten Druck der Gewö lbe leiten die Kreuzrippen zu den Pfeilern, die ihrerseits durch Strebepfeiler gestü tzt werden, die man nach drauß en vor die Auß enwä nde verlegt. Auffallendstes Kennzeichen gegenü ber der Romanik ist der Spitzbogen, der schmalere Joche und deshalb eine dichtere Abfolge der Bö gen ermö glicht. Zwischen den Strebepfeilern werden die Mauern in Fenster aufgelö st, deren obere Teile mit Maß werk gefü llt werden. An den Westfassaden werden gewaltige Tü rme hochgezogen und mit einem Reichtum an Formen wie Kreuzblumen, Fensterrosen und Figuren geschmü ckt.

In diesem Stil wurden die Kathedralen von Laon, Bourges, Paris (Notre Dame), Chartres, Reims und Amiens gebaut. In Deutschland setzt sich die Gotik nur langsam durch. Zu den berü hmtesten Kirchenbauten zä hlen die Mü nster von Straß burg und Freiburg und der Kö lner Dom. Dann aber wurden die Formen der gotischen Baukunst auch fü r sogenannte Profanbauten (weltliche Bauten) ü bernommen, und Rathä user, Schlö sser, Burgen und Bü rgerhä user wurden im gotischen Stil errichtet. In Italien hat die Gotik nur im Norden Einzug gehalten (Mailä nder Dom), und ein Groß teil der Stadtkulisse Venedigs besteht aus gotischen Palä sten.

Die gotische Plastik — hier sehen wir ein schö nes Beispiel — blieb an die Architektur gebunden. Gotische Figuren schmü cken die Portale der Kirchen und brauchen die Konsole unter den Fü ß en und den Baldachin ü ber dem Kopf. Trä ger des Ausdrucks wurde der Faltenwurf des Gewandes. In Deutschland entstehen im 13. Jahrhundert die Skulpturen des Bamberger und Naumburger Doms, der Bamberger Reiter und die Uta, und die des Straß burger Mü nsters.

Folgen Sie mir bitte jetzt in den Raum der Renaissance.»

Renaissance

«Fü r die mittelalterliche Kunst ist kennzeichnend, daß sie 1. im Dienst der Kirche die Religion bebilderte, also nicht autonom war, 2. daß die Kü nstler sich als Handwerker empfanden und in Zü nften organisiert waren und deshalb 3. anonym blieben, weil sie nicht etwas Originelles schaffen wollten, sondern nach Mustern kopierten.

Das alles ä nderte sich mit der Renaissance (—► Geschichte, Renaissance), die im Florenz des 15. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm. Voraussetzung dafü r war die Blü te der italienischen Stä dte und die Entstehung einer patrizischen Schicht, deren Reichtum es ihr ermö glichte, die fü hrende Stellung durch Mä zenatentum, Prachtentfaltung und ö ffentliche Aufträ ge an Kü nstler zu legitimieren. Jetzt wird die Kunst selbstä ndig. Die Kü nstler treten aus der Zunftordnung aus und damit als Persö nlichkeiten in Erscheinung. Kunst wird nun gegen Handwerk profiliert. Handwerk ist Nachahmung, Kunst Neuschö pfung. Damit wird der Kü nstler zum Schö pfer, also zum kleinen Bruder oder sogar zum Sohn Gottes. Deshalb malt Dü rer sich als Christus. Da Kunst jetzt alles zu ihrem Gegenstand machen kann, komme es zu einem Exzeß der detailversessenen Abbildung von allem und jedem. Leonardo da Vinci skizziert Grä ser, Blä tter, Wasserwirbel, Tiere und alle Seiten des menschlichen Kö rpers. Weil der Kü nstler die Natur zum zweiten Mal erschafft, wird in der Renaissance die Kunst zur Naturnachahmung. Man untermauert das durch wissenschaftliche Studien der Anatomie, der Mathematik und der Proportionslehre. Ab 1420 beschä ftigt sich der Freundeskreis von Brunelleschi in Florenz mit der Ü bertragung des rä umlichen Sehens auf die Flä che und entwickelt die Ä sthetik der Zentralperspektive. Und Donatello und Ghiberti ü bertragen sie auf das Relief. Damit wird die gotische Komposition aufgegeben. Das war eine ä sthetische Revolution. Im Mittelalter hatte die Malerei noch die Arbeit der Schrift miterfü llt: Vor der Erfindung des Buchdrucks dienten die Bilder auch der Information der Glä ubigen, und man malte nicht nur das, was man sah, sondern das, was man wuß te. Das Sichtbare wurde durch eine Stilisierung ins Zeichenhafte ü berformt: Wichtiges wurde grö ß er gemalt als Unwichtiges; es dominierte das Flä chige, und man malte in der Regel Zeichenserien und Bildgeschichten. So erschien in den Bildfolgen das, was nacheinander geschah, als gleichzeitig.

Mit der Komposition des Bildes von der Zentralperspektive aus wurde die Malerei ganz auf das Sehen abgestellt. Alles andere konnte man getrost der Information durch die Bü cher ü berlassen. Zum Organisationsprinzip der Bildkomposition wurde nun der Raum, den man zu einem Zeitpunkt von einem Punkt aus sah. Damit wurden Zeit und Raum getrennt und beide aneinander gesondert erfahrbar: An den sich perspektivisch verengenden Platten eines Pflasters konnte man ermessen, wie lange es dauern wü rde, einen Platz zu ü berqueren. Und zugleich sah man daran, daß nur von einem einzigen Punkt im Rä ume aus der Platz so aussah, wie er im Bild erschien. Damit bekam der Beobachter eine feste Position im Raum. Der Raum wurde in dem Maß e absolut, wie die Perspektive die Beobachtung auf ihre Standortgebundenheit relativierte.

Diese Schwelle markiert eine Revolution in der Erfahrung: Das Sein zeigt sich nicht mehr in seiner Totalitä t und in der Bedeutungsfü lle der Zeichen, sondern was man sieht, hä ngt davon ab, wo man steht. Das Sehen wird ausdifferenziert und auf sich selbst gestellt. Und dafü r wird der Reichtum jetzt allein im Sichtbaren entdeckt: im Raum, in der Farbe, im Licht und im Kö rper. In diesem illusionä ren Spiegelraum, der gewissermaß en den realen Raum verdoppelt, werden nun die aus der Antike ererbten Themen mit der sichtbaren Realitä t der Gegenwart verbunden.

Diese Stoffe, die die Humanisten wiederentdeckt haben, treten nun neben die kirchlichen Bildmotive. Die Aristokratie und die Patrizier lassen sich nun lieber als griechische Gö tter darstellen, zumal deren Bilderwelt ja freigegeben ist und nicht von einer Institution wie der Kirche verwaltet wird, die das Copyright auf religiö se Motive besitzt. Die Abkehr von der Religion leitet die religiö sen Gefü hle um in eine Feier diesseitiger Schö nheit. Der menschliche Kö rper wird seines gotischen Faltenwurfs entkleidet und in seiner nackten Schö nheit gemalt. Die Gesichtszü ge werden im individuellen Porträ t festgehalten, und die Natur wird in der Landschaftsmalerei von Pollaiuolo und Leonardo da Vinci entdeckt. Das alles wird fü r eine Gesellschaft produziert, in der die Kunst als eigenstä ndige Sphä re ö ffentliche Anerkennung findet. Es werden Kunstakademien gegrü ndet, Kunsttheorien entworfen, und Giorgio Vasari beginnt mit der Kunstgeschichte, indem er die Biographien bekannter Kü nstler schreibt. Es ist auch Vasari, der den Begriff > gotischer Stil< erfindet, womit er ihn in Erinnerung an die marodierenden Gotenheere als barbarisch kennzeichnen will. Die Kunst wird fü r die Auftraggeber zu einem Mittel, sich ü ber den Tod hinaus Geltung zu verschaffen. In den Testamenten werden die Kunstsammlungen nicht mehr unter das sonstige Vermö gen gerechnet und besonders behandelt.

In der Architektur orientiert man sich an den antiken Bauten und an dem Buch De architectura von Vitruv. Es ist das einzige ü berlieferte Handbuch der rö mischen Baukunst, das von der griechischen Architektur angeregt wurde, und deshalb ist es in seiner Wirkung nicht zu ü berschä tzen. Vitruv lebte zur Zeit Caesars und Augustus'. Sein Werk behandelt die Grundsä tze des Bauens ü berhaupt und enthä lt Bauplä ne fü r ö ffentliche Gebä ude, Theater, Tempel, Bä der, Stadt- und Landhä user und Vorschlä ge zu Kanalisation, Wandmalerei und Stadtplanung. Die Architekten der Renaissance - Bramante, Ghiberti, Michelangelo und Palladio - wurden direkt von ihm angeregt, und die klassische Tradition der Baukunst mit ihren regelmä ß igen Proportionen, ihren Symmetrien und ihren dorischen, ionischen und korinthischen Sä ulen geht auf Vitruv zurü ck (—► Geschichte, Griechenland).

Seit der Renaissance pilgerten die Kü nstler und Kunstliebhaber Europas nach Italien. Die gesamte europä ische Kunst der Neuzeit baute auf den Formen auf, die die italienischen Kü nstler entwickelt hatten. Bis zum 19. Jahrhundert gibt es keine Stilepoche, die nicht ihre Vorbilder in der italienischen Renaissance gesucht hä tte. Zur Erziehung der englischen Gentlemen gehö rt bald die Bildungsreise nach Italien, mit dem Ergebnis, daß sich die englischen Landschaften mit Landhä usern im Stile Palladios fü llen und sich in der Folge auch in den Vereinigten Staaten von Amerika ausbreiten.

Daran sieht man, daß die Stilgeschichte ä hnlich wie die Evolution funktioniert: Ein Stil ist eine Art, bei der die Individuen wie die Kunstwerke sich durch Weitergabe ihrer Bauplä ne fortpflanzen. Dabei entwickelt sich ein Stil ü ber Variationen, von denen diejenigen ü berleben, die wegen ihrer Originalitä t am besten an die Umwelt des Geschmacks angepaß t sind. Nur hin und wieder kommt es zu einer Mutation, bei der eine neue Art entsteht. Zunä chst wird sie fü r eine monströ se Abweichung gehalten. Das zeigt sich darin, daß Stilbezeichnungen wie Gotik oder Barock zunä chst im abwertenden Sinne benutzt werden. Aber dann stabilisiert sich diese Abweichung, wird zu einer neuen Art und leitet eine neue Stilepoche ein, in der der alte Stil noch eine Weile weiterlebt und dann schließ lich im Kampf um den Geschmack den kü rzeren zieht und ausstirbt. Der neue Stil hat sich durchgesetzt.

Was nun die groß en Kü nstler der Renaissance betrifft: Wir haben einen Anbau in unserem historischen Teil, da finden Sie unter der Ü berschrift Renaissance die Karrieren der groß en Fü nf dokumentiert: Botticelli, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael und Tizian. Dort kö nnen Sie das hier Gehö rte durch Anschauung ergä nzen.» (—► Geschichte, Renaissance)

Barock

«Wir gehen jetzt durch eine kleine Galerie mit einer Zeittafel an der Wand. Einen Einschnitt in der Kunstentwicklung Europas bedeutete die Reformation (ab 1517), die zu Wellen der Zerstö rung von kirchlichen Kunstwerken fü hrte, weil sie als Zeichen heidnischer Gö tzenverehrung galten (man spricht dabei von Ikonoklasmus [Bildersturm]). Als Gegenreaktion entwickelte sich mit der Gegenreformation (ab ca. 1550) in den katholischen Lä ndern der Barockstil. Der Name leitet sich aus dem Juwelierhandwerk her — barocco ist das portugiesische Wort fü r eine unregelmä ß ige Perle - und wird dann im Sinne von > schwü lstig< gebraucht.

Die Kunst des Barock ist zunä chst Propagandakunst der katholischen Kurie. Sie gab zahlreiche Kirchenbauten in Auftrag, die eine feierlich festliche Atmosphä re verbreiten sollten. In ä hnlicher Absicht wurde die Formensprache des Barock von den absolutistischen Fü rsten in Anspruch genommen und damit zum Stil fü rstlicher Magnifizenz: In ihren barocken Palä sten schufen sich die Fü rsten die Kulissen fü r das absolutistische Staatstheater, dem sich auch die Aristokraten unterzuordnen hatten. In der Ausrichtung auf den hö fischen oder gö ttlichen Kosmos betonte der Barockstil die Unterordnung der einzelnen Glieder der Bauten unter das Ganze. Die Spannung wird dann ausgedrü ckt durch geschwungene Formen und starke Bewegtheit. Das Schmuckwerk ist ü berreich, und die Innenrä ume werden malerisch gestaltet, so daß sie prä chtig und festlich wirken. Das Zeitalter des Barock ist das 17. und 18. Jahrhundert.

In Frankreich wird der barocke Ü berschwang klassizistisch (durch antike Einfachheit) gezä hmt, so daß die Schloß bauten sehr streng ausgerichtete Parkanlagen erhielten, die hä ufig von Le Notre entworfen wurden (Versailles). Maß geblich fü r die Entwicklung des Barock waren die Bauten Berninis und Borrominis in Rom.

Im Deutschland, der verspä teten Nation, feierte das Spä tbarock nach 1700 Triumphe in Form der Bauten von Fischer von Erlach in Ö sterreich, Johann Balthasar Neumann in Wü rzburg, Andreas Schlü ter in Berlin und Matthä us Pö ppelmann und Georg Bahr in Dresden.

Ist Italien die Heimat der groß en Maler der Renaissance, so ü bernehmen im Barock die Niederlande diese Rolle. Aber die Niederlande sind geteilt in das katholische habsburgische Flandern mit Brü ssel und Antwerpen und das calvinistisch-protestantische Holland mit Amsterdam als Zentrum. Das 17. Jahrhundert ist nicht nur das Zeitalter der Gegenreformation, sondern auch des Aufstiegs Hollands zur ersten Seehandelsmacht Europas.

So arbeiten die niederlä ndischen Maler einerseits fü r die Kö nige und Aristokraten und andererseits fü r das aufstrebende Handelsbü rgertum. Folgen Sie mir bitte in den nä chsten Saal.

Diese Ausrichtung zeigt sich idealtypisch am Gegensatz zwischen Rubens und Rembrandt; deshalb haben wir ihre Bilder einander gegenü ber gehä ngt. Rubens (1577—1640) wird Hofmaler der Statthalter Belgiens und malt fü r die Fü rsten Europas; diese wü nschten groß e, reprä sentative Bilder. Entsprechend produziert Rubens Palastbilder, riesig, prunkend und prä chtig. Seine Spezialitä t ist das > barocke< Fleisch dicker Frauen, das sprichwö rtlich geworden ist. Er malt fü r die Jesuiten und die Kirche, den Kö nig von Frankreich, den Kronprinzen von England, den Kurfü rsten von Bayern und den Kö nig von Spanien. Um die vielen Aufträ ge ausfü hren zu kö nnen, unterhä lt er eine durchorganisierte Werkstatt mit Lehrlingen und Untermalern. Rubens selbst macht dann die Skizze zum Entwurf des Bildes, lä ß t sie ins Groß formatige ü bertragen und von anderen ausmalen. Er selbst fü gt dann den letzten Pinselstrich hinzu, der das Bild zu einem > Rubens< macht.

Rubens gilt als reprä sentativer Maler des Barock. Die Formel der Kunsthistoriker fü r den typischen Rubenstouch lautet: > malerischer, pathetischer Bewegungsstil<, weil seine Figuren sich hä ufig winden und im Zustand hö chster Erregung gezeigt werden.

Wenden wir uns jetzt der anderen Wand zu. Rembrandt van Rijn (1606—1669) ist schon darin untypisch, daß er nicht zum Studium nach Italien geht, sondern nach einer Lehre bei einem Historienmaler in Leiden und dann in Amsterdam seine eigene Werkstatt erö ffnet. Er malt zunä chst im Stil der Historienmaler biblische Szenen - darin zeigt sich der Protestantismus —, entwickelt aber dabei seinen persö nlichen Stil durch die Konzentration auf wenige Figuren, eine stä rkere Dramatisierung und eine neue Intensitä t und Dramaturgie des Lichts. Zu seinem Markenzeichen werden die vom Seitenlicht getroffenen Figuren in helldunklen Rä umen. Wie Rubens wä hlt Rembrandt im jeweiligen Geschehen den spannendsten Augenblick, z.B. das Messer kurz vor dem Auge bei der Blendung Samsons oder die letzten Sekunden der Opferung Isaacs vor seiner Errettung. So wird Rembrandt zum Maler der menschlichen Affekte unter Streß. In dieser Psychologisierung hat man in Zeiten, als man noch in solchen Kategorien dachte, das spezifisch Innerliche, weniger Oberflä chliche des protestantischen Nordens gesehen und Rembrandt als Reprä sentanten der deutschen Seelenlage reklamiert. Typisch hierfü r war der Bestseller Rembrandt als Erzieher von Julius Langbehn von 1890, in dem der Verfasser mit Bezug auf Rembrandt die Deutschen zum Widerstand gegen Oberflä chlichkeit und Materialismus aufrief und damit die Heimatkunstbewegung um die Worpsweder Kü nstlergruppe beeinfluß t hatte. Dieser Mumpitz wirft ein Rembrandtsches Schrä glicht auf die Kunstreligion.

Rembrandt erzielt seine Wirkungen, indem er die Bildtraditionen ins Momenthafte und Dramatische abwandelt. Porträ ts, die eigentlich reprä sentativ zu sein haben, werden bei ihm psychologische Studien. In den Selbstbildnissen experimentiert er sogar mit Grimassen und extremen Ausdrucksvarianten. Die Tradition der steifen Schü tzenbilder, auf denen die Schü tzengilden der hollä ndischen Stä dte sich verewigen lassen, werden bei ihm ins Szenische dramatisiert: Bekanntestes Beispiel ist die Nachtwache, die die Schü tzengilde im Moment der Sammlung zeigt.

1657 macht Rembrandt trotz seiner zahlreichen Aufträ ge aufgrund seines verschwenderischen Lebensstils Bankrott. Im Spä twerk danach treten besonders bei der Darstellung biblischer Stoffe (Christus in Emmaus, David und Saul, Jakobs Segen, Isaac und Rebecca) die dramatischen Handlungsbilder zurü ck.

Gleichzeitig ü bertrifft Rembrandt alle seine Zeitgenossen in der Landschaftsmalerei und besonders in der Radierung, bei der verschiedene Druckabzü ge seine Entwicklung und seine Arbeitsweise dokumentieren.

Bis heute gilt Rembrandt als bedeutendster Maler der Niederlande, eines Landes, das so viele Maler hervorgebracht hat wie sonst nur noch Italien. Rubens und Rembrandt reprä sentieren auch das Europa des 17. Jahrhunderts mit seiner konfessionellen Spaltung: Rubens ist der Maler der katholischen Gegenreformation und der absolutistischen Fü rsten; und Rembrandt ist der Maler des protestantischen Geldbü rgertums, der stä dtischen Wü rdenträ ger, Vereine und Berufsgruppen.

Jetzt schauen wir uns noch in dem kleinen Raum nebenan einen ganz anderen Barockmaler an. Nun, was kennen wir fü r Bildtypen? Wir haben das Porträ t und die Historiengemä lde erwä hnt. Besonders die Gemä lde mit biblischen und religiö sen Szenen waren spezifischen Darstellungsregeln und einer bestimmten Bildsprache unterworfen. Das galt nicht fü r einen Bildtyp, der in der niederlä ndischen Malerei besonders gepflegt wurde: das Genre-Bild: Das sind Bilder mit Szenen des Alltagslebens, und die dargestellten Personen bleiben meist anonym. Wir alle kennen solche Bilder, weil ihre Motive sehr populä r geworden sind: Bauernhochzeiten, Wirtshausgelage, Wintervergnü gungen auf zugefrorenen Teichen, Dorffeste und hä usliche Szenen. Bekannte Vertreter des Genres sind Peter Brueghel der Ä ltere, Jan Steen und Peter de Hooch.

Der grö ß te Vertreter der Genre-Malerei im Barock ist Jan Vermeer aus Delft (1632-1675). Einige seiner Bilder sind zu modernen Kalender-Ikonen geworden und werden immer wieder reproduziert. So etwa Das Brief lesende Mä dchen am offenen Fenster. Der Grund dafü r liegt in der Beschrä nkung auf einen Raumausschnitt und in der Gestaltung des Bildes durch die Lichtregie: Sie machen nä mlich das Bild intim; die jeweiligen Figuren wirken wie versunken. Dem entsprechen die Motive des Lesens und des Musikmachens (Herr und Dame am Virginal, Gitarrespielerin und Die Musikstunde), bis Vermeer mit dem Maler und dem Modell in Die Allegorie der Malerei die Malerei selbst malt. Darin steigert er die kontemplative Stimmung des Bildbetrachters durch das, was er darstellt. Das ist der Grund fü r seine Popularitä t, die noch verstä rkt wurde, als der geniale Kunstfä lscher Jan van Meegeren Vermeer-Bilder so meisterhaft fä lschte, daß die meisten Experten getä uscht wurden. Wenn Sie mir bitte folgen mö chten? »

Rokoko

«Das spä te Barock betont das Ornamentale in Malerei und Architektur und das Dekorative. Dabei spielt das Muschelornament eine besondere Rolle, und das heiß t auf Franzö sisch > rocaille<. Von diesem Wort leitete sich die Bezeichnung > Rokoko< ab, ein Stil, der die Zeit von 1720 bis 1760 beherrschte. Auch er geht wieder von Frankreich aus. Zwar ist er nach wie vor aristokratisch, aber er wandelt sich vom reprä sentativen Staatstheater des Absolutismus zum Intimen, Spielerischen und Frivolen. Der entscheidende Einfluß ging von dem franzö sischen Maler Antoine Watteau aus (1684-1721). Er schuf einen neuen Bildtyp: das galante Fest (fê tes galantes) und das Picknick (la fê te champê tre). Es wurde das reprä sentative Bildthema des Rokoko und drü ckte einen hö fischen Eskapismus (Flucht vor dem Unangenehmen) ins Arkadische (lä ndlicher Glü cksort) aus, bei dem man sich in Schä ferspiele flü chtete und Trä umen von ewiger Jugend und heiterer, nimmer versiegender Sinnlichkeit nachhing. Jean Honore Fragonard (1732-1806) malte im Auftrag der kö niglichen Mä tresse Madame Dubarry erotische Szenen als Schä ferstunden (Die vier Stationen der Liebe), die allerdings so freizü gig waren, daß die Auftraggeberin sie zurü ckwies. In der Franzö sischen Revolution wurde seine Kunst verboten. Das war dem dritten groß en Maler des Rokoko nicht passiert: Francois Boucher (1703 -1770) verdankte seinen Aufstieg zum ersten Hofmaler der Madame Pompadour, einer Vorgä ngerin der Dubarry. Seine galant-erotischen Schä ferspiele finden Gefallen, und man sieht ihm auch nach, daß er von der Mythologie nur die Liebesabenteuer der Gö tter zeigt: den Raub der Europa oder Leda und den Schwan. Das Rokoko feiert den Triumph der Erotik, und nirgends sind die Frauen so rosig wie auf den Bildern dieser Epoche.»

Klassizismus und Romantik

«Wir gehen jetzt in den nä chsten Saal, in dem wir die Klassizisten und die Romantiker gegenü bergehä ngt haben. Darin setzt sich gewissermaß en der Antagonismus zwischen Rubens und Rembrandt fort: Die Rubens-Nachfahren werden klassizistisch, vor allem in Frankreich, und die Rembrandt-Nachfahren werden romantisch, und das betrifft England und Deutschland.» Plö tzlich unterbrach unser Fü hrer sich. «Wo sind denn die anderen? » Tatsä chlich bemerkten wir jetzt, daß die Mehrzahl der Mä nner im Rokoko-Saal zurü ckgeblieben war und sich voll kunsthistorischer Anteilnahme in die erotischen Darstellungen versenkt hatte. Erst als unser Fü hrer mehrmals in die Hä nde klatschte, trotteten sie widerwillig zu uns herü ber. «Wie ich schon sagte, die Teilung der Kunst setzt sich in der Zeit um die Franzö sische Revolution und im 19. Jahrhundert fort. Wä hrend in England und Deutschland eine romantische Malerei entsteht, unterwirft sich Frankreich der Strenge des Klassizismus. Der Begrü nder der klassizistischen Malerei ist ein Protege des Rokoko-Malers Boucher: Jacques Louis David (1748-1825). Sein Bruch mit dem Rokoko erfolgt kurz vor der Franzö sischen Revolution. Mit dem vom Kö nig in Auftrag gegebenen Bild Der Schwur der Horatier von 1785 fü hrt David die kompositorische Strenge der klassischen Bildgestaltung wieder ein und signalisiert damit, daß es nun Schluß ist mit den Schä ferspielen im Grü nen; der Ernst des Lebens fä ngt wieder an. Deshalb finden wir ihn auch 1789 auf den Barrikaden der Revolution. 1792 wird er Abgeordneter im Nationalkonvent, 1793 Prä sident des Jakobinerclubs und 1794 Vorsitzender des Konvents und macht Politik. Seine Bilder geben das wieder; sie sind auf den moralisch-pathetischen Ausdruck des politischen Handelns ausgerichtet. Sein berü hmtestes Bild wird das Gemä lde des ermordeten Marat im Bade. Spä ter wird er zum Hofmaler und Verherrlicher Napoleons. Durch die Wirkung seines Schü lers Jean Dominique Ingres befestigt er die Herrschaft des Klassizismus in Frankreich bis ü ber die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus.

Ebenfalls ein politischer Maler ist der Spanier Francisco Goya (1746-1828), dessen Lebensdaten mit denen Davids fast zusammenfallen. In der Zeit der Franzö sischen Revolution wird er Hofmaler am spanischen Hof, malt aber die Mitglieder der Kö nigsfamilie als eine Versammlung bornierter Idioten.»

Ich mö chte fragen, wie er damit durchkommen konnte, lasse es aber lieber bleiben. Sicher handelt es sich da um ein Rä tsel der Forschung.

«Durch seinen Verkehr mit liberalen Intellektuellen wird seine Malerei zur politischen Kritik. In den Desastres de la Guerra stellt er die Scheuß lichkeiten wä hrend des Krieges gegen Napoleon dar. Dann wird er durch eine Krankheit fast taub und beginnt, auch ohne Auftraggeber Bilder zu malen. Sie behandeln Themen am Rande des Irrsinns: gespenstische Visionen, dü stere Halluzinationen und grelle Fieberträ ume. Goya ist der erste, der seine eigenen Phantasien fü r bildwü rdig hä lt. Das ist der Prolog zum Abschied von der Abbildungskunst. In dieser Hinsicht ist Goya der erste Moderne. Er ergrü ndet das Alptraumhafte und Visionä re. Alptraumhaft und visionä r sind auch die Bilder, mit denen er den Horror des Krieges darstellt. Indem er die klassischen Kompositionsregeln miß achtet und die Figuren aus dem Zusammenhang isoliert, weist er der Malerei den Weg zum Surrealismus.

Blicken wir nun auf die gegenü berliegende Wand. Da sehen wir England und Deutschland. In England wird der Romantiker William Turner (1775-1851) zum Impressionisten, bevor es diese Stilrichtung gibt. Malten die Maler bisher nur Landschaften, wenn sie Geld brauchten, macht Turner die Landschaft zum malerischen Sujet schlechthin. Damit trifft er mitten ins Herz der Romantik. Ihr zentrales Thema ist der Resonanzbezug (Widerhall) zwischen dem einsamen Bewuß tsein und der ungezü gelten Natur. Dieser Bezug wird > Stimmung< genannt; das Diffuse wird nun poetisch. Entsprechend verblü fft Turner die Zeitgenossen dadurch, daß er die Linie als Mittel der Konturierung der Gegenstä nde aufgibt und die Formen in Farben auflö st. Die Natur verwandelt sich bei ihm in einen dynamischen Wirbel aus Licht, Wolken und Wasser, der die menschlichen Gestalten ebenso verschlingt wie alle festen Konturen, die dem Dasein sonst Halt verleihen. Nach einer Reise durch die Niederlande und das Rheinland, die seine mittlere Periode prä gt, macht Turner 1819 seine erste Italienreise, die seinen malerischen Stil noch einmal revolutioniert. Von nun an konzentriert er sich auf die Wiedergabe des Lichts. In Venedig hat ihn besonders die Fä higkeit des Lichts in Verbindung mit den atmosphä rischen Erscheinungen des Wetters, die Formen der Dinge zu verä ndern, fasziniert. Nun reizt ihn nicht mehr die Wiedergabe der Objekte selbst, sondern die Impression, das visuelle Ergebnis der Verbindung von Objekt und Licht. Entsprechend tragen die Bilder seiner letzten, sogenannten > transzendentalen< Phase Titel wie Licht und Farbe oder Schatten und Dunkel. Er malte nicht mehr nur Objekte, sondern den Glanz, die Dunkelheit, die Schatten, den Sturm, und wenn es Gegenstä nde waren, so waren es Schiffe in Seenot oder ein Zug, wie in dem Bild, dem er den Titel Regen, Dampf und Geschwindigkeit gab. In seiner Malerei entdeckte die Wahrnehmung sich selbst und erschrak ü ber die Unkonturiertheit des Bewuß tseins, wenn es nicht von Gegenstä nden geordnet wird.

Ä hnlich interessiert den deutschen Romantiker Caspar David Friedrich (1774-1840) nicht die naturgetreue Wiedergabe einer Landschaft, sondern die Empfindung, die sie selbst bei dem Maler und ihr Bild beim Betrachter hervorrufen. Deshalb malte er Menschen beim Betrachten der Landschaft, in denen der Betrachter sich selbst beim Betrachten des Bildes betrachten kann.

So, wenn wir jetzt in den nä chsten Saal gehen, kommen wir zum Ü bergangsstil der Moderne, dem Impressionismus.»

Impressionismus

«Bis ca. 1860 war die Malerei Atelierkunst», fuhr unser Fü hrer fort, «und wurde von Akademien gesteuert, an denen die Maler ausgebildet wurden. Zur unbezweifelten Voraussetzung gehö rte der Glaube an die Gegenstä ndlichkeit der Kunst. Dieser Glaube wird zuerst durch die Erfindung der Fotografie erschü ttert und ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts durch eine Gruppe von Malern, die Paris zum Mekka der Malerei machten und den letzten Stil vor dem Ausbruch der avantgardistischen Kunst schufen: den Impressionismus. Entsprechend ist der Impressionismus doppelgesichtig: Fü r die Zeitgenossen war er ein moderner Schock und Skandal, fü r uns ist er im Rü ckblick eine Form der Modernitä t, die uns als Entschuldigung fü r unsere heimliche Vorliebe fü r die traditionelle Kunst dient. Er bezeichnet das letzte Stadium, in dem die Kunst noch > schö n< sein konnte und zugleich schon modern. Das hat den Impressionisten eine Sonderstellung beim heutigen Publikum verschafft. Sie sind populä r. Danach wird alles hä ß lich.

Die bekanntesten Namen sind: Renoir, Manet, Monet, Degas, Cé zanne und van Gogh.

Wie revolutionä r sie waren, zeigt eine Zeitungsnotiz ü ber eine der ersten Ausstellungen der Impressionisten. Ich zitiere: «Soeben ist bei Durand-Ruel eine Ausstellung erö ffnet worden, die angeblich Bilder enthalten soll. Ich trete ein, und meinen entsetzten Augen zeigt sich etwas Fü rchterliches. Fü nf oder sechs Wahnsinnige, darunter eine Frau, haben sich zusammengetan und ihre Werke ausgestellt. Ich sah Leute vor diesen Bildern stehen und sich vor Lachen wä lzen. Mir blutete das Herz bei dem Anblick. Diese sogenannten Kü nstler nennen sich Revolutionä re; »Impressionisten«. Sie nehmen ein Stü ck Leinwand, Farbe und Pinsel, werfen auf gut Glü ck einige Farbkleckse hin und setzen ihren Namen unter das Ganze. Das ist eine ä hnliche Verblendung, als wenn die Insassen einer Irrenanstalt Kieselsteine aufheben und sich einbilden, sie hä tten Diamanten gefunden.»

Was den Kritiker so erbittert, ist, daß die Impressionisten den Umgang mit Farbe revolutionieren. Sie malen die Effekte von Licht und Schatten so, daß die Farben erst im Auge des Betrachters entstehen. Von nahem sieht man ein Chaos von Pinselstrichen, doch tritt man zurü ck, entsteht der Eindruck einer wunderbaren Ordnung. Das war fü r die Zeitgenossen mit ihren alten Sehgewohnheiten nicht nachvollziehbar. Wie heute auch viele Kü nstler hielt man die Impressionisten fü r Stü mper, die nicht ordentlich malen konnten. So wurde der Name > Impressionisten< als Schimpfwort gebraucht.

Auch die Motive der Impressionisten waren in strengem Sinne keine bildwü rdigen Themen: Tanzlokale (Renoir), Rennplä tze (Degas), Bars (Manet), Bahnhö fe (Monet) und nackte Frauen in Begleitung bekleideter Herren beim Picknick (Manets Frü hstü ck im Grü nen) flö ß ten dem zeitgenö ssischen Publikum kein Vertrauen ein.

Das Thema der Impressionisten war das flü chtige Leben der Groß stadt, das Fließ en der Seine (Monet malte oft in einem Boot auf dem Fluß ) und das Vorbeifluten der Massen auf den Boulevards, in den Parks und in den Vergnü gungslokalen.

Von den Impressionisten fü hrte kein Weg zur Abbildlichkeit zurü ck. Im Gegenteil: Die beiden radikalsten von ihnen strebten in die entgegengesetzte Richtung: van Gogh klopfte an die Pforte des Wahnsinns, und Cezanne wurde zum Vater der Moderne, indem er das Gegenteil tat: Er zog sich von den Hysterien der Impressionisten zurü ck und experimentierte mit den Mö glichkeiten, die Raumtiefe des Bildes nicht mehr von der Zentralperspektive aus zu organisieren, sondern von der Farbe her. Die Bilder wurden nicht mehr von der Gesamtkomposition, sondern von den Einzelformen aus gestaltet. Seine Nachfolger brauchten dann nur noch sein lineares und statisches Gerü st aufzugeben und siehe, schon waren Formen und Farbe autonom und sie selbst zu Kubisten geworden.

Die Avantgarde war da und mit ihr ihr kü nftiger Kö nig Pablo Picasso, der herausragende Vertreter der Malerei des 20. Jahrhunderts. Damit sind wir ans Ende des traditionellen Museums gekommen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.

So, jetzt bitte ich Sie, den Fahrstuhl zu betreten: Wir fahren jetzt in eine andere Dimension. Vorsicht beim Aussteigen, es wird Ihnen ein wenig schwindelig werden, aber das geht vorü ber. Ich ü bergebe Sie dann dem Team, das fü r die moderne Kunst zustä ndig ist. Je zweien von Ihnen wird dann jeweils ein Betreuer zugeordnet. Oder eine Betreuerin. Wir nennen sie in unserem Jargon > Cicerones<. So, wir sind da. Das vor uns ist das groß e Modell eines Museums. Sie kö nnen da hineingehen. Auf diese Idee sind wir sehr stolz. Warum jeweils ein Paar einen eigenen Betreuer bekommt? Ganz einfach, weil die moderne Kunst eine sehr viel intensivere Betreuung erfordert, jedenfalls am Anfang.»

Wir betraten das Modell, und plö tzlich fand ich mich mit meiner Begleiterin allein, nur in Gesellschaft eines Betreuers, der so plö tzlich aufgetaucht war, als wä re er einem Rahmen entstiegen. «Hallo, mein Name ist Praxitelopoulos, aber Sie kö nnen mich Praxi nennen. Meine Aufgabe ist es, Sie sofort mit Kommentaren und Scherzen zu stö ren, wenn Sie vor einem Kunstwerk in Andacht versinken wollen.»

Ob das denn nicht mehr erlaubt sei, wollte ich wissen.

«Nicht mehr im Meta-Museum des neuen Jahrtausends. Sehen Sie, alle Erfahrungen haben gezeigt, daß die meditative Versenkung ins Kunstwerk das Sehen schä digt. Die Leute konnten ihre Pupillen nicht mehr scharf stellen. Deshalb tauchten in den alten Museen die Besucher nach der Besichtigung der Bilder im Zustand des Schocks wieder auf und stü rzten sich dann wie Verdurstende nach einer Wü stenwanderung auf die Postkartenstä nde und Bildbä nde im Kiosk. Erst beim Wiedererkennen dessen, was sie gesehen hatten, gewannen sie ihren Alltagsblick zurü ck: Sie muß ten dann nicht mehr so tun, als ob sie mehr sä hen, als sie sahen.

Kommen Sie, wir mü ssen hier in diesen Raum. Wie Sie sehen, ist hier nichts zu sehen auß er einem sogenannten Text-Bild; wir lesen das mal:

> Die Malerei ist die widersprü chlichste unter den Kü nsten. Sie ist uns als sinnliche Anschauung gegeben. Weil die Wahrnehmung direkt ins Bewuß tsein dringt, erwecken Bilder den Eindruck der Unmittelbarkeit. Wir haben das Gefü hl, daß keine Symbolsprache zwischen uns und das, was wir sehen, tritt.<

Wenn Sie nä her herantreten, sehen Sie, daß es ein Bildschirm ist. Und hier, in der oberen rechten Ecke befindet sich eine Zeile mit Programmsymbolen. Sehen Sie? Ich berü hre jetzt das Symbol > Weiter<. Was sehen Sie? Richtig: das Wort > Sonnenblumen<. Und jetzt sehen wir, wie langsam aus dem Bildhintergrund das bekannte Bild von van Goghs Sonnenblumen auftaucht. Nein, versenken Sie sich jetzt nicht in die Betrachtung des Bildes. Stellen Sie sich statt dessen Papst Clemens VII. vor.»

»Das kann ich nicht«, protestierte meine Begleiterin. »Ich kenne...« Aber Praxi verwies sie auf eine Tastatur unter dem Bildschirm. Sie begriff und tippte die Zeile ein:

»Das kann ich nicht, ich kenne doch diesen Papst gar nicht.«

Darauf erschien das Wort »Clemens VII.«. Eine Weile starrte sie es an, bis Praxi einen Kunststoffhelm mit angeschlossenen Kabeln und Elektroden aus einer Halterung nahm und ihn meiner Begleiterin aufsetzte. Sofort erschien auf dem Bildschirm die neblige Gestalt eines Papstes, die von ferne an Papst Woytila erinnerte.

»Aber das ist ja das Bild in meinem Kopf, wenn ich das Wort Papst Clemens lese«, rief sie erstaunt.

Kaum hatte sie das gesagt, war das Woytila-Gespenst wieder verschwunden. Als Praxi wieder die Programmtaste berü hrte, erschienen zwei identische Bilder nebeneinander. Der Unterschrift konnte man entnehmen, daß sie Papst Clemens VII. darstellten, der in einem Stuhl vor einer dunklen Treppe saß: Sein Ornat umgab seine Beine mit einem Reichtum an weiß en, glä nzenden Falten, doch sein Oberkö rper wurde von einem schweren hochgeschlossenen Cape aus blutrotem Samt bedeckt, das ebenso wie die rote Kappe intensiv samten glä nzte. Man sah den Papst von vorne, einen Mann in den besten Jahren, aber er schaute hochmü tig am Betrachter vorbei zur Seite, das Kinn leicht emporgereckt, um den Mund ein grausamer Zug; so schaute er unter enorm schweren, halb geö ffneten Lidern aus dem Bild heraus auf irgend jemand, den er nicht mochte, in der Hand ein zusammengefaltetes Schreiben. Besser hä tte man ihn auch nicht sehen kö nnen, wenn er leibhaftig vor einem gesessen hä tte. Ja, der Stoff glä nzte so herausfordernd, daß man versucht war, ihn anzufassen.

Praxi hatte ein Mikrophon genommen, um meine Begleiterin unter ihrem Helm ansprechen zu kö nnen. »Was Sie sehen, ist das Bild Clemens VII. von Sebastiano del Piombo, das er 1562, natü rlich im Auftrag, gemalt hat. Es hä ngt im Museum in Neapel. Vergleichen Sie die beiden Bilder. Sehen Sie einen Unterschied? Nein? Das eine ist das Original, das heiß t, natü rlich ist das nicht das Original, das hä ngt ja in Neapel, sondern die Computerkopie dieses Originals.« Er drü ckte auf das Symbol Z auf dem Bildschirm, und unter dem linken Bild erschien die Zeile »Hallo da drauß en. Ich bin das Bild, das von dir gesehen wird.« Und unter dem rechten erschien die Zeile »Hallo hier drinnen. Ich bin die Kopie des Bildes in deinem Kopf.« »Sehen Sie«, fuhr Praxi fort, »die beiden Bilder sind identisch. Und deshalb kö nnen Sie auch normalerweise nicht sehen, daß es zwei sind. Sie haben den Eindruck der Unmittelbarkeit. Aber diese Unmittelbarkeit steht im Gegensatz zu den Jahrhunderten an Wissen, die Sie von diesem Bild trennen. Was wissen Sie wohl ü ber diesen Papst? Was war los um 1526? Hat Clemens dem Maler Anweisungen gegeben, wie er gerne gemalt werden wü rde? War Sebastiano zum gefragtesten Porträ tisten Roms geworden, weil er seine Auftraggeber verschö nte und sie edler erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit aussahen? Dann muß Clemens ein ä uß erst unsympathisch aussehender Mensch gewesen sein. Was hatten die Porträ ts fü r eine Funktion? Verherrlichung? Erinnerung fü r die Nachwelt? Wer ließ sich porträ tieren, nur Herrscher und Aristokraten oder auch Bü rgerliche? Kommt darin das Bewuß tsein der eigenen Originalitä t zum Ausdruck? Und weiter: Verbirgt die sinnliche Unmittelbarkeit dessen, was du siehst, eine symbolisch verschlü sselte Botschaft? Gibt es eine Bildersprache, die man nicht mehr versteht?

Kann man aus der Komposition Schlü sse ziehen? Ist die Teilung der Figur in roten Oberkö rper und weiß en Unterkö rper nur dem Gewand des Papstes geschuldet, das so aussah, oder versteckt der Maler darin einen geheimen Hinweis auf die Glaubensspaltung, mit der Clemens konfrontiert war? Sieht er deshalb so finster aus? Symbolisieren die Stufen der Treppe hinter dem Papst die Himmelsleiter, an deren oberem Ende, das wir nicht sehen, nur noch Gott und seine Heerscharen stehen kö nnen? Kö nnte der zusammengefaltete Zettel in seiner Hand eine Botschaft sein, die er als Mittler zwischen Gott und den Menschen gerade von oben erhalten hat und im Begriff ist, nach unten weiterzugeben? Steckt also in dem Bild ein verstecktes Zitat, ein Hinweis auf Moses, der vom Berg Sinai herab dem Volk Israel die Gesetzestafeln bringt? Und wenn, wä re es nicht eine geheime Ironie, daß der rauhe Berg Sinai sich bei den Pä psten in eine Reihe bequemer Treppenstufen verwandelt hat?

Mit einem Wort: Die Unmittelbarkeit des sinnlichen Eindrucks enthä lt zugleich eine unendliche Reihe komplizierter Vermittlungsschritte, die man erst durchlaufen mü ß te, wollte man das Bild richtig verstehen. Die Direktheit des sinnlichen Eindrucks tä uscht. Man weiß gar nicht, was man sieht. Und beim zweiten Blick sieht man dann noch, daß das Bild selbst diesen Widerspruch abbildet: Der unmittelbare Eindruck der Gestalt des Heiligen Vaters, der durch die sinnliche Qualitä t des Stoffes seines Gewandes unterstrichen wird, kontrastiert mit der eigentlichen Funktion des Papstes im Plan der Dinge: Als Stellvertreter Christi auf Erden ist er in demselben Sinne der Mittler zwischen Gott und den Menschen wie die Schrift zwischen dem Geist und dem Leser. Und just diesen Mittler stellt Sebastiano im Modus der sinnlichen Unmittelbarkeit dar.

Es ist dieser ungelö ste Widerspruch, der Widerspruch zwischen der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung und der Mittelbarkeit des Wissens ü ber die Bildersprache, der das Tor zum Verstä ndnis der Kunst erö ffnet.«

Praxi hatte seinen Vortrag unvermittelt abgebrochen, denn auf dem Bildschirm war plö tzlich das rechte von den beiden Zwillingsbildern verschwunden. An seine Stelle war ein deutliches Bild der Cafeteria getreten.


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